Zwischenruf

von Ulrich Körtner (Wien)

"Die Vermessung der Zukunft"

Soviel ist gewiss: die Zukunft ist ungewiss. Doch schon immer hat der Mensch versucht, die Ungewissheit der Zukunft in Gewissheit zu überführen oder sie wenigstens zu verringern. Schließlich lebt er nicht bloß im Heute und im Gestern, sondern auch im Morgen. Er hat nicht nur eine Zukunft, sondern er weiß um sie, und sein Leben wird entscheidend von seinem Wissen um die Zukunft bestimmt. Die Zukunft ist das unbekannte Land unserer Wünsche, Sehnsüchte, Träume und Hoffnungen, aber auch unserer Albträume und Schreckensvisionen.

Prophetie und Prognosen

Möglichkeiten auszuloten, das Wahrscheinliche vom Unwahrscheinlichen zu trennen und die ungewisse Zukunft unter Kontrolle zu bringen, haben Menschen in vergangenen Zeiten durch religiöse und magische Praktiken versucht, die auch heute noch vorkommen. Ob die Sterne oder die Karten befragt werden, ob man an Hellseher glaubt oder sich aus der Hand lesen lässt, stets geht es darum, in die Zukunft zu schauen, um sich auf sie einstellen zu können. Daneben aber gab und gibt es auch das Phänomen der Prophetie, das kennzeichnend für Offenbarungsreligionen ist. Man denke vor allem an die Propheten Israels in alttestamentlicher Zeit - und ihre Konflikte mit den Ratgebern der israelitischen Könige, die sich ebenfalls Propheten nannten.

Der modernen, aufgeklärten Vernunft ist Offenbarungswissen verpönt. Sie setzt auf die Berechnung und Vermessung der Zukunft, gestützt auf Wissenschaft und mathematische Exaktheit. Die moderne Wissenschaft aus dem Geist der Mathematik setzt sich zum Ziel, das Unberechenbare berechenbar zu machen.

An die Stelle der Seher und Propheten sind in der modernen Gesellschaft die Zukunftsforscher getreten. Ob in der Politikberatung, in der Wirtschaft, in der Bevölkerungsforschung oder in der Umwelt- und Klimaforschung - überall steht die Wissenschaft im Dienst der Zukunftsvorhersage. Ein Heer von Experten versorgt uns täglich mit Prognosen, von der Wettervorhersage über die Börsennachrichten und Wirtschaftsprognosen bis zum Polit-Barometer.

Eine Sache des Glaubens

Wer auf die Eroberung und Kontrolle der Zukunft durch Mathematik und Wissenschaft setzt, sieht sich freilich häufig enttäuscht oder in tiefe Verwirrung gestürzt. Nicht selten prallen widersprüchliche Expertenansichten aufeinander. Auf welche soll man setzen, wenn es womöglich um weitreichende Entscheidungen geht, die weit über unsere eigene Lebenszeit hinaus Folgen auch für künftige Generationen haben? Während zum Beispiel der Mainstream der Klimaforscher mantraartig Politik und Öffentlichkeit auf das Ziel einschwört, die Erderwärmung dürfe nicht um mehr als zwei Grad Celsius steigen, halten dies andere Experten für Selbstbetrug. Sie fordern uns dazu auf, uns auf eine Erwärmung um vier Grad einzustellen - mit allen verheerenden Konsequenzen, die weltweit zu erwarten sind.

Wahrscheinlichkeiten werden gern mit Gewissheiten verwechselt. Das Paradoxe an Prognosen ist vor allem, dass sie die Zukunft nicht bloß beschreiben oder imaginieren, sondern beeinflussen. Man denke nur an den Einfluss von Wahlprognosen auf das Wählerverhalten. Generell können Prognosen als self fulfilling oder self destroying prophecy wirken, bzw. als eine Form des wishful thinking. In subtiler Form sagen sie nicht nur, was sein könnte, sondern auch, was vielleicht sein sollte.

Wissenschaftlich gestützte Prognostik und Prophetie bilden keinen strikten Gegensatz. Nicht zufällig werden z.B. Wirtschaftsexperten als Weise bezeichnet - ganz wie die Weisen aus dem Morgenland in der Geburtslegende Jesu. Alle Mathematik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles auf dem Gebiet der Prognostik nicht allein eine Sache der Psychologie, sondern eine Sache des Glaubens ist. Es fragt sich nur, worauf dieser Glaube sich stützt und welcher Glaube in Anbetracht der Ungewissheiten des Lebens und der Zukunft wirklich zu tragen vermag. Was mir Halt und Kraft gibt, ist die Zusage Jesu: "Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

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