Gedanken für den Tag

Von Cornelius Hell. "Ahasver, der ewige Rebell" - Zum 100. Geburtstag des deutschen Schriftstellers Stefan Heym. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Rabbi, deine Demut widert mich an." Zornig spricht Ahasver als Titelfigur in Stefan Heyms Roman mit Jesus. Drastisch hält er Jesus vor Augen: "Es ist nicht das Lamm, das die Welt verändert, das Lamm wird geschlachtet." Jesus hat nichts verändert, denn seit er sich hat kreuzigen lassen, wird nicht weniger Blut vergossen als vorher - das ist die Überzeugung Lucifers, mit dem Ahasver im Roman debattiert. Auch über dreißig Jahre nach seinem Erscheinen ist die Lektüre ein großes Erlebnis, da sich Heym auf die biblische Sprache einlässt und sie zugleich verfremdet und so produktiv mit religiösen Zitaten und Traditionen umgeht, wie man das nur selten findet in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts.

Besonders bewegend ist dieser indirekte Blick auf Jesus durch seinen Widerpart Ahasver, den so genannten "ewigen Juden" der Legende, den radikalen Veränderer, dessen Gedanken immer wieder um Jesus kreisen. "Aber zähle einer, wie viele vor ihm und wie viele nach ihm gleich qualvoll geendet sind und wie er gerufen haben in ihrer Not: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" fragt Ahasver. Doch obwohl er den Tod Jesu für sinnlos hält und sich seine Sichtweise von der Jesu radikal unterscheidet, ist da etwas, was ihn fasziniert: "Und dennoch, der Rabbi hat die Menschen geliebt, und hat für sie gelitten", hält Ahasver dem Lucifer entgegen.

Gegen Ende des Romans sucht Ahasver Jesus im Himmel auf und erklärt ihm, dass er nichts verändert hat. Jetzt will Jesus einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, in der Liebe und Gerechtigkeit herrschen. Aber seine Revolte gegen Gottvater, den Schöpfer der Welt, wie sie ist, gelingt nicht. Es kommt zu einem neuen Engelssturz, in dem sich Ahasver mit Jesus vereint. Und die letzten Worte des Romans lauten: Und da er und Gott eines waren, ward auch ich eines mit Gott, ein Wesen, ein großer Gedanke, ein Traum."

Das, was auch dem Autor Stefan Heym so wichtig war - dass die Welt veränderbar ist und verändert werden muss, scheitert. Aber der radikale Veränderer wird ein Teil von Gott - ein vielschichtiger Schluss.

Service

Stefan Heym, Ahasver. Roman. btb Band 73357

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Paul Hindemith/1895 - 1963
Titel: Sonate für Viola und Klavier op.25 Nr.4
* Sehr langsame Viertel - 2.Satz (00:04:00)
Solist/Solistin: Kim Kashkashian /Viola
Solist/Solistin: Robert Levin /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: ECM 833311-2

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