Gedanken für den Tag

Katharina Strasser liest: "Liebesfähig zu werden ist das Ziel des Lebens" - Zum 10. Todestag von Dorothee Sölle. Gestaltung: Alexandra Mantler

Wir brauchen Gott in allen Gestalten. Als Vater und als Mutter, als Schöpfer und als Ernährerin, als die, die uns lebendig erhält und die Erde erneuert. Der Atem ist allem was lebt gemeinsam. Atmen ist eine Art, die Luft miteinander zu teilen und vielleicht ist diese Gemeinsamkeit ein tiefes Symbol für die Unteilbarkeit des Lebens. Manchmal hab ich Angst davor, dass demnächst auch die Luft rationiert wird und die bessere, weniger vergiftete Luft nur noch für die Reichen da ist. Es gibt natürlich solche geographischen Aufteilungen auch heute schon.

Noch teilen wir die Luft miteinander. Noch geht der Himmel über allen auf und ist nicht nur für einen gedacht. Und in dieser Gemeinsamkeit des Lebens steckt auch die Hoffnung für uns, dass wir noch einmal aus dem gegenwärtigem Zustand der Zerstörung, der Privatisierung und des Raubes herauskommen.

Das Wort, das heute so beliebt ist, lautet "privat". In den USA hört man gerne und immer wieder: "Ach, das ist eine ganz persönliche Meinung, very private". Und am liebsten würden sie, glaube ich, Gott zur "private property" erklären, denn das ist das höchste, was Nordamerikaner sich denken können - Privateigentum. Privare heißt im lateinischen "rauben". Das ist ein Raub, das Private. Das ist nicht eine Vervollkommnung des Menschen, sondern eine Zerstörung der Menschlichkeit und genau davon sind wir beherrscht. Anthropozentrismus, also die Herrschaft des Menschen und die Überlegenheit des Menschen über alle anderen Kreaturen, dieses "Herr- und Meister-Sein". Aber dieses Verständnis hat in diesem Psalm überhaupt keinen Platz. "Aller Augen warten auf Dich und du gibst ihnen ihre Speise zu ihrer Zeit". Das ist ein Lied, das ich hunderte Male gesungen habe in meinem Leben. Ich habe dabei immer nur an die Menschenaugen und den Menschenhunger gedacht. Der Psalm lehrt mich aber, anders zu sehen und zu fühlen, als es in unserer Welt üblich ist. Er führt mich zurück in das Wissen, dass wir ein Teil sind, nicht das Ganze, sterblich, nicht ewig, dass wir teilhaben, nicht herrschen. Und indem er uns auf das Kreaturmaß zurückholt, gibt er uns auch Anteil an der Freude, an dem Jubel der Geschöpfe. Die Psalmen sind ein wunderbares Lehrbuch dafür, dass wir uns in Gott freuen können. Vielleicht das Größte, was unsere Tradition anzubieten hat.

Aus: Beherrschen und Besitzen (Descartes) - oder Hüten und Bewahren (Gen. 2,15) - was wollen wir? Vortrag von Dorothee Sölle / lebenshaus-alb.de, 3.12.2001

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Joseph Haydn/1732 - 1809
Titel: Sonate für Klavier Nr.54 in G-Dur Hob.XVI/40
* Allegretto innocente - 1.Satz (00:09:07)
Klaviersonate
Solist/Solistin: Alfred Brendel /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Philips 4163652

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