Leporello
Fotoband Edgar Honetschläger: "Sugar and Ice"
27. Juni 2013, 07:52
Brasilia, Hauptstadt Brasiliens. In den 1950er Jahren auf dem Reissbrett entworfen, galt sie den einen als Meisterwerk modernistischer Architektur und Stadtplanung, den anderen als sterile Strafkolonie inmitten der brasilianischen Pampa. Aus der Überzeugung, dass die frühere Hauptstadt, Rio de Janeiro, allzu sehr mit Europa liebäugelte und ihr Gesicht stets dem Ozean zuwandte, fasste man den Entschluss, eine Kapitale im brachliegenden Landesinneren zu errichten. In nur vier Jahren wurde Brasilia auf dem zentralen Hochplateau des Landes aus dem Boden gestampft. Verantwortliche Architekten waren Lucio Costa und der im vergangenen Dezember im Alter von 105 Jahren verstorbene Oscar Niemeyer.
Der Künstler und Filmemacher Edgar Honetschläger verfiel dem einzigartig modernistischen Erscheinungsbild der Stadt Brasilia schon in jungen Jahren.
Ein Jahr lang lebte er in der flugzeugförmigen Stadt, in deren Cockpit sich das Regierungszentrum Brasiliens befindet, während die Tragflächen Wohnblocks beherbergen. Nun präsentierte er in der Galerie Charim seinen in Brasilia aufgenommenen Fotoband "Sugar and Ice", dessen Titel einerseits auf den Zucker als jahrhundertelang vorherrschenden Wirtschaftsfaktor Brasiliens, andererseits auf den kalt glitzernden, die Leere zelebrierenden Modernismus der Hauptstadt anspielt.
Vorwerfen kann man den Planern Lucio Costa und Oscar Niemeyer, die beide bekennende Marxisten waren, dass sie auf den Tragflächen des Flugzeugs "Brasilia" zwar großzügig Wohnraum für Politiker und Diplomaten schufen, die Arbeiter, die die Stadt gebaut hatten, jedoch vergaßen. In einem Halbkreis von Satellitenstädten, in denen heute der Drogenhandel blüht, siedelten diese sich rund um die asketisch-poetische Reissbrettmetropole an. Auf diese Siedlungen hat auch die Protestbewegung übergegriffen, von welcher Brasilien in den letzten Wochen erschüttert wurde. Vor dem Außenministerium zündeten Demonstranten ein riesiges Feuer an - eine drastische Maßnahme, die jedoch weniger verwundert, wenn man bedenkt, dass die schiere Weite Brasilias jede friedliche Kundgebung zu schlucken droht. -
Gestaltung: Franziska Dorau
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