Radiokolleg - Handle vertretbar - auch wenn es nichts nützt
Empörung und Skandal im digitalen Zeitalter
(1). Gestaltung: Robert Weichinger
2. Dezember 2013, 09:30
Wer das Wort Skandal bei Google eingibt, erhält nach einer halben Sekunde beinahe 30 Millionen Treffer. Sind wir eine skandalisierungsfreudige, ja skandalisierungssüchtige Gesellschaft geworden? Tatsache ist, dass nicht alles, was in die mediale Arena an Empörungsträchtigem eingeschleust wird, es auch zum Skandal bringt. Vieles verpufft, bevor es sich zum Skandal ausgewachsen hat.
Hanne Detel und Bernhard Pörksen haben in ihrem Band "Der entfesselte Skandal" das Grundmuster klassischer medialer Skandale so beschrieben: "Am Anfang steht unvermeidlich die Verfehlung, die Normverletzung. Es folgt die von Journalisten betriebene Enthüllung, dann - wenn das Thema greift - der Aufschrei, die kollektive Empörung des Publikums, schließlich das Ritual der Aufarbeitung und der öffentlichen Anklage mit allen Varianten der Reaktion. Manche der Beschuldigten rechtfertigen sich oder streiten alles ab."
Manche erklären sich trotzig zum Opfer und sehen das wahre Unrecht woanders. Einige nehmen den Hut. Und danach beginnt für das breite Publikum das große Vergessen, es bleiben lediglich Erinnerungssplitter.
Allgemein lässt sich sagen, jedem Aufreger folgt ein rasches Verfallsdatum. Dennoch ist der Moment der kollektiven Empörung aufschlussreich: Vorstellungen von Moral und Werten werden dabei auf ihre gesellschaftliche Relevanz hin überprüft. Halten Moral- und Wertvorstellungen noch, oder sind sie bereits obsolet?
Im Zeitalter der Digitalisierung und der wechselnden Dauerbeobachtung kommt dem Skandal eine neue Dimension zu. Die Gefahr besteht darin, dass jeder Einzelne Opfer des Skandals werden kann. War früher eine gewisse Fallhöhe notwendig, um für Empörung zu sorgen, Prominente, Politiker, Stars, kann im digitalen Zeitalter jeder User einen Skandal auslösen, aber auch selbst zum Skandalisierten werden. Was immer digital eingespeist wird, kursiert eines Tages unkontrolliert im Netz, wird in der Bedeutung verändert und in neue Zusammenhänge gestellt. Was ursprünglich harmlos gedacht war, kann sich gegen den User richten. Brisantes Material kann den Aufdecker zum Gejagten machen. Die oftmals eingeforderten Kontrollanstrengungen führen mitunter nur zu einem erhöhten Kontrollverlust. Der Medienwissenschafter Bernhard Pörksen rät deshalb, stets so zu handeln, dass die öffentlichen Effekte des Handelns langfristig vertretbar sind. Allerdings sind Zweifel angebracht, ob das etwas nützen wird?
Service
Hanne Detel und Bernhard Pörksen, "Der entfesselte Skandal", Herbert von Halem Verlag
Roman Maria Koidl, "Web Attack", Goldmann TB
Armin Thurnher, "Republik ohne Würde", Zsolnay Verlag