Zwischenruf

von Susanne Heine (Wien)

"Abenteuerreise Bildung"


Büffeln, auswendig lernen, das Kurzzeitgedächtnis aktivieren für die nächste Prüfung, dann alles vergessen, um den Kopf wieder frei zu kriegen für das wirkliche Leben. Schaut Bildung so aus? Alles muss schnell gehen, ein paar praktische Fertigkeiten, ab in den Beruf, rasch Geld verdienen. Manchmal kommt es mir vor, als würde Bildung heute bedeuten, sich nicht viele Gedanken zu machen. Know how ist gefragt, ob technisch oder organisatorisch. Gut so, denn nichts nervt mehr als Chaos, wenn es um geregelte Abläufe und klare Vereinbarungen geht. Aber: Ist das schon Bildung?

Das Wort Bildung hat einen schlechten Ruf. Schon das Wort ist altmodisch und lässt vor den Augen einen Menschen auftauchen, der zerrauft hinter verstaubten Büchern hockt. Ein weltfremder Einsiedler, der viel weiß, aber für nichts und niemanden nützlich ist. Bildung als Werkstatt für Ideen, die über dem schweben, was sich tatsächlich in der Welt abspielt. Also müssen die Tatsachen erforscht werden, empirisch versteht sich.

Allerdings - was sich tatsächlich in der Welt abspielt ist das Ergebnis von Ideen, von dem was in den Köpfen der Menschen nistet. Das können Ideen einer gerechten Gesellschaft sein, aber auch Ideen einer ethnisch gesäuberten Gesellschaft; einer religiösen Gesellschaft oder einer definitiv religionslosen. Es bringt nichts, Bildung definieren zu wollen, aber es lässt sich sagen, was damit gemeint ist: Solche Ideenwelten zu erforschen. Wann sind sie entstanden und warum? Wie wurden sie verwirklicht und mit welchen nützlichen oder katastrophalen Folgen? Geschichte, soziales Leben, Gesellschaft entstehen nicht aus Tatsachen, sondern sind das Ergebnis von Vorstellungen in den Köpfen der Menschen. Auch die Fallgesetze hat es nicht gegeben, bevor Galilei auf die Idee kam, dass es sie geben müsste. Und wir würden immer noch glauben, dass die Sonne um die Erde kreist, hätte Kopernikus nicht die Idee gehabt, dass es sich andersherum verhält. Mit den Ideen beginnt die Forschung.

Bildung - das ist eine Reise in die Welt des menschlichen Geistes, die mit der Neugier beginnt. Auf dieser Reise gibt es viele Abenteuer zu bestehen: zuerst nicht verstehen, Brett vor dem Kopf, hartnäckig bleiben und dann - geht ein Licht auf. Aha! Das sind die beglückenden Momente, die sich nicht absichtlich herbeiführen lassen, die einem geschenkt werden. Was der Philosoph Platon einstmals gesagt hatte, stimmt für mich immer noch: Den Menschen treibt der Eros, die Leidenschaft zu erkennen. Und Erkennen hat nichts mit viel Wissen tun. Ob unser viel diskutiertes und zerredetes Schulsystem damit irgendetwas zu tun hat? Treibt es den jungen Leuten nicht viel eher die Neugier und die Leidenschaft aus?

Wer sich auf die Abenteuerreise Bildung begibt, ist aber auch dazu herausgefordert, sich eigene Gedanken zu machen und Ideen und deren Folgen zu beurteilen. Viele Ideen sind zu fixen Ideen geworden, zu Vorurteilen, die als Spaltpilz den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Um dem entgegenzuwirken braucht es Bildung, die sich selbstständig mit den Traditionen des Geistes auseinandersetzt, diese verwirft, bestätigt oder modifiziert. Nicht Vielwisserei, sondern nur Erkenntnisprozesse, die auch emotional bewegen, mobilisieren den Willen, anders zu handeln als vorausgegangene Generationen.

Dass die Religionen Spaltpilze des gesellschaftlichen Zusammenhalts seien, ist eine verbreitete Meinung. Also am besten abschaffen. Damit würde jedoch provoziert, was verhindert werden sollte: die Störung des gesellschaftlichen Friedens. Denn religiöse Ideen haben unsere Geschichte und Kultur nachhaltig geprägt, und sie tun es immer noch. Daher braucht es religiöse Bildung, denn nur wer sich mit Religion auseinandersetzt, kann verstehen und urteilen und sich dazu angemessen verhalten. Eine antireligiöse Haltung, die mir regelmäßig begegnet, scheint davon auszugehen, jede Beschäftigung mit Religion würde die Unterwerfung unter irgendein Dogma verlangen. Ein rigider Dogmatismus feiert jedoch gerade dann fröhliche Urständ, wenn Religion aus dem bildungskritischen Umgang entlassen wird. Deshalb hat ein religiös analphabetisches Europa religiöse Bildung dringend nötig. Die Abenteuerreise Bildung, die Religion einschließen muss, ist ein Friedensprojekt.

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