Zwischenruf

von Superintendent Manfred Sauer (Villach, Kärnten)

Arno Schmidt, Sprachkünstler und Eremit, Schöpfer des Mammut-Romans "Zettels Traum" wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Schmidt gilt als Klassiker der Moderne und als einer der wichtigsten deutschen Nachkriegsautoren, wenn er auch nicht so bekannt und populär ist wie Günther Grass oder Heinrich Böll.

Der Sprachpionier setzte sich über Erzählkonventionen hinweg und seine experimentellen und avantgardistischen Texte geben immer noch Rätsel auf. Er galt im Umgang mit Verlegern und Kollegen als äußerst schwierig, eigenwillig und wurde auch in der Öffentlichkeit immer wieder als Enfant terrible wahrgenommen. Mit seiner Ehefrau Alice ließ er sich 1958 in einem kleinen Holzhäuschen in Bargfeld, in der Lüneburger Heide nieder, wo er sehr zurückgezogen lebte und bis zu seinem Tod 1979 wie besessen schrieb.
Der Hamburger Millionär und Literaturprofessor Jan Philipp Reemtsma sagte über Schmidt: "ich habe einen so beeindruckenden Menschen nie wieder in meinem Leben erlebt", Jan Philipp Reemtsma hat Arno Schmidt darum auch finanziell stark unterstützt.

Wie der Krieg die Seelen der Menschen beschädigt, sowie die drohende Angst vor einem Atomkrieg waren wichtige Themen in seinem Schaffen.

Einen Satz aus seinem Buch: "Aus dem Leben eines Fauns" von 1953 möchte ich zitieren. Arno Schmidt schreibt:

"SA, SS, Militär, HJ undsoweiter: die Menschen sind nie lästiger, als wenn sie Soldaten spielen. (Kommt bei ihnen wohl periodisch in jedem Jahrzwanzicht, ungefähr wie Malaria, neuerdings noch schneller). Am Ende sind doch immer die Schlimmsten Meister, das heißt: Vorgesetzte, Chefs, Direktoren, Präsidenten, Generale, Minister, Kanzler. Ein anständiger Mensch schämt sich, Vorgesetzter zu sein!"

Ist das denkbar und vorstellbar? Eine Gesellschaft ohne Vorgesetzte? Eine Gesellschaft von mündigen, verantwortungsvollen und gleichwertigen Menschen, ohne Hierarchien, ohne Chefetagen und ohne Ordnungsmächte. Eine Gesellschaft, in der respektvoller Umgang praktiziert wird und wichtige Entscheidungen nicht von oben diktiert und vorgegeben, sondern gemeinsam erarbeitet und erstritten werden. Ein Zusammenleben, in dem unterschiedliche Überzeugungen nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung erlebt werden. Jedenfalls kein Machtwort, keine Gewalt, keine Ausgrenzung gegen Andersdenkende und Andersglaubende, sondern Neugier und Offenheit gegenüber dem Fremden und den Fremden.

Ist das denkbar und umsetzbar, dass Menschen kein Interesse mehr daran haben, über andere Macht auszuüben, dass Menschen sich schämen, andere zu dirigieren, zu schikanieren, zu drangsalieren. Das klingt alles sehr utopisch und trotzdem erinnert es mich ganz stark an das biblische Menschenbild, besonders wie es von Jesus gelebt und verkündet wurde.

Jesus hat jeden Herrschaftsanspruch abgelehnt, "denn der Menschensohn ist nicht gekommen dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene." Er ist nicht hoch zu Ross, sondern auf einem Esel nach Jerusalem eingezogen. Er hat Petrus zurückgehalten, als der versucht hat, ihn mit dem Schwert zu verteidigen. Jesus ist den Weg des Friedens und den Weg des Kreuzes, der Hingabe und des Leidens gegangen, nicht den Weg eines Helden.

Es gibt sie immer noch, die Machthungrigen, die Vorgesetzten und Chefs, die sich daran delektieren, andere zur Schnecke zu machen und die es nötig haben, sich wichtig zu machen und die es auskosten, über andere zu herrschen.

Es liegt an uns und wie wir uns zueinander verhalten, in der Familie, in der Schule, im Beruf, in der Politik oder in der Kirche. Es liegt an uns, wie wir agieren. Es gibt jeden Tag die Chance, es anders zu probieren, nicht mit Macht, nicht mit Einschüchterung, sondern einander im gegenseitigen Respekt zu dienen.

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