Dimensionen - die Welt der Wissenschaft

Indien.
Turbulente Demokratie mit Kasten
Gestaltung: Brigitte Voykowitsch

Führende westliche Sozialwissenschafter/innen vertraten bis in die 1960er Jahre hinein die These, dass in einem von Kasten, bitterer Armut und hohem Analphabetismus geprägten Land wie Indien die Demokratie nicht Fuß fassen und schon gar nicht überleben könne.

Doch Indiens Politiker/innen ließen sich von solchen Überlegungen nicht beeindrucken. Drei Jahre nach der Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren verabschiedeten sie 1950 eine Verfassung, die eine Mehr-Parteien-Demokratie festschrieb. Abgesehen von 19 Monaten Ausnahmezustand in den 1970er Jahren ist Indien eine Demokratie geblieben, Machtwechsel finden regelmäßig statt, auch bei den Parlamentswahlen 2014 wird mit einer Abwahl der derzeit regierenden Kongresspartei gerechnet. Wichtige gesellschaftspolitische Veränderungen sind nur dank der Demokratie möglich gewesen.

Einstmals rechtlose und marginalisierte Gruppen kämpfen - teils durchaus mit Erfolg - um sozialen Aufstieg. Dabei beziehen sie sich auf die Verfassung, die einen modernen säkularen Staat vorsieht, in dem alle Menschen - Männer und Frauen - gleiche Rechte haben. Frauen, Adivasis (das sind ethnische Minderheiten), niedrige Kasten und Dalits, wie sich die ehemals Unberührbaren heute nennen, engagieren sich nun für die Durchsetzung ihrer Rechte und stellen die alten feudalen, patriarchalen und religiös sanktionierten Strukturen der Diskriminierung infrage. Fest steht, dass das Kastensystem nicht, wie manche Wissenschafter/innen es voraussagten, die Demokratie gebrochen hat, es hat sie allerdings stark geprägt. Kasten und Subkasten sind zu wichtigen Interessensgruppen geworden, die um Macht und Einfluss miteinander wetteifern. Bis zu einem gewissen Grad befolgen sie dabei demokratische Spielregeln, doch auch Korruption und Gewalt spielen eine große Rolle.

Gruppen- und parteiintern mangelt es an demokratischen Prozessen. Noch immer besteht mit den traditionellen Kasten- und Dorfräten eine Parallelstruktur. Diese Räte ignorieren die Regeln des Rechtsstaats und verhängen gesetzeswidrige Strafen. So ordnete ein Dorfrat Anfang des Jahres die Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau an, die mit der Wahl ihres Liebhabers gegen die Dorfsitten verstoßen haben soll.

Die Demokratie bringt aber immer wieder auch Überraschungen. So ist aus einer Protestbewegung in Delhi 2012 eine neue Bürgerpartei hervorgegangen, die bei den Regionalwahlen in Delhi 2013 zweitstärkste Kraft wurde und nun die Landesregierung in Delhi stellt.

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