Zwischenruf

von Gisela Ebmer (Wien)

Übersetzung heiliger Schriften

Eine einheitliche, verbindliche Übersetzung des Koran muss her - so ließ es Integrationsminister Sebastian Kurz vor einer Woche verlauten. Damit die Radikalisierung eingedämmt wird. Denn alle können dann nachlesen, was wirklich im Koran steht und was nicht.

Als evangelische Theologin habe ich Verständnis dafür. Vor 500 Jahren hat Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt, damit die Menschen damals sich selber ein Bild machen konnten und nicht einfach alles glaubten, was ihnen von Geistlichen, Adeligen und Obrigkeiten erzählt wurde. Ziel war die Unabhängigkeit der Gläubigen. Sie sollten erkennen, dass die Bibel ein Buch der Freiheit ist, dass da nichts steht von Ablasszahlungen und Fegefeuer. Vielmehr geht es um einen barmherzigen Gott und um die Liebe zum Nächsten.

Die Folge davon waren Kriege. Menschen verwendeten die Bibel als Waffe, nahmen einzelne Texte aus dem Zusammenhang als Rechtfertigung für ihr gewaltsames Vorgehen. Auf der Seite der Unterdrückten und auf der Seite der Herrschenden.

Viel später, erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat der evangelische Theologe Rudolf Bultmann zur Entmythologisierung der Bibel aufgerufen. Die Bibel ist nicht Gottes Wort, sondern eine bis zu 3000 Jahre alte Schrift, die uns den Glauben der Menschen damals näher bringt.

Es gibt kein Original der Bibel. Nur mehr handgefertigte Abschriften, die sich bei ein und demselben Text unterscheiden. Die sogenannte historisch kritische Exegese und archäologische Funde haben viele Wissenschaftler beschäftigt und tun es noch heute. Wie haben die Menschen damals gelebt? Wer hat wie geherrscht? Wie war das Verhältnis zwischen Frauen und Männern? Zwischen Armen und Reichen? Zwischen Sklaven und Freien? Welche kulturellen Einflüsse gab es durch die Seidenstraße und andere Handelswege? Und was wollten die Leute, die die biblischen Texte damals in diesem Kontext geschrieben haben, erreichen? Erst wenn wir das alles erforscht haben, können wir überlegen, was von den biblischen Texten heute noch relevant ist. Als Evangelische orientieren wir uns an dem roten Faden, der sich durch die Bibel zieht, das ist das Wort Gottes für uns: Seine bedingungslose Liebe zu den Menschen, die Botschaft vom Frieden, von wirtschaftlicher Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung.

Es gibt ausgezeichnete Koran-Wissenschaftler, die schon lange auf ähnliche Art und Weise recherchieren. Es ist ein spannendes Unterfangen. Eine gute Übersetzung aber braucht auch erklärende Texte dazu, so wie es in evangelischen Bibelausgaben der Fall ist.

Dennoch: Es gibt keine Norm im Bereich der Religion. Niemandem, der nicht Theologin oder Theologe einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft ist, ist es verwehrt, die Bibel, die Torah oder den Koran nach eigenem Gutdünken zu verwenden, Dinge zu verfremden oder dazu zu erfinden. Die einzige Norm sind die Gesetze unseres Staates, die über dem Recht auf Religionsfreiheit stehen.

Wichtig ist das Gespräch. Innerhalb der einzelnen Religionen und religionsübergreifend. Meine Schülerinnen sollen wissen, dass Glaube nicht gleich Glaube ist, sie sollen lernen, anderen zuzuhören, sich auszutauschen über den Sinn des Lebens und so die Vielfalt von Gottes Schöpfung mehr und mehr entdecken.

Wenn Jugendliche in Österreich radikal werden, dann fehlt ihnen wohl das Gespräch. Zuhause mit den Eltern, in der Schule mit Lehrern und Lehrerinnen, die zuhören und Sorgen ernst nehmen, das Gespräch mit Freundinnen, die Hoffnung geben, Förderung im Schulalltag, sodass sie eine gute Ausbildung bekommen. Einen Beruf finden, der ihnen Freude macht und Sinn gibt. Eine finanzielle Absicherung und Zukunft in unserem schönen Staat Österreich. Wer das hat, zieht nicht nach Syrien in den Krieg, träumt nicht als Neonazi vom guten alten Führer, zieht nicht als Anarchist durch die Stadt und verwüstet öffentliche Einrichtungen.

Radikalismus eindämmen kann man nicht durch Normierung von Religion. Das geht nur durch Liebe. Durch die ununterbrochene Sorge des Staates für das körperliche und seelische Wohl seiner Bürger und Bürgerinnen.

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