Vom Leben der Natur
Weder Pilz, noch Pflanze noch Tier. Die Biologin Konstanze Bensch über die faszinierende Welt der Schleimpilze.
Teil 4: Robotik und Verkehrsplanung: Der "Vielköpfige" als Forschungsobjekt..
Gestaltung: Barbara Zeithammer
5. März 2015, 08:55
An den ersten Sonnentagen nach längerem Regen kommen sie aus dem Boden, ziehen eine schleimige Spur und kriechen an Bäumen, Gräsern oder Sträuchern empor oder legen sich als bunte Flecken auf Rindenmulch - Schleimpilze. Auch wenn es der Name vermuten lässt, sind diese Lebewesen keine Pilze und schleimig ist nur ein sehr kurzer Abschnitt ihres Lebens. Schleimpilze - wissenschaftlich Myxomyceten genannt - sind auch keine Pflanzen oder Tiere, wie man heute weiß. Da sie sich mittels Scheinfüßchen bewegen, hielt man sie lange Zeit für Tiere, weil sie sich wie Pilze über Sporen fortpflanzen, dachte man fälschlicherweise, sie wären Pilze. Doch sie sind eine separate Gruppe, die parallel zu den anderen Lebewesen vor circa 700 Millionen Jahren entstanden ist. Genaueres weiß die Forschung derzeit noch nicht.
Nach Schätzungen gibt es etwa 1.000 Arten weltweit, im Alpenbereich sind 370 Arten nachgewiesen. Schleimpilze kommen weltweit vor, auch in schwierigen Lebensbereichen wie der Arktis oder Wüsten. Sie sind perfekt an sämtliche Bedingungen angepasst, können Trockenzeiten in Dauerstadien überstehen und durchlaufen einen komplizierten Lebenszyklus. Sichtbar ist nur ein Lebensstadium, das so genannte Plasmodium - schleimige, bunte Flecken. Obwohl sie Einzeller sind und weder Gehirn noch Nervenzellen haben, können Plasmodien erstaunliches leisten: Ein Schleimpilz - der Vielköpfige, Physarum polycephalum, genannt - begeistert Wissenschafterinnen und Wissenschafter weltweit: Er findet sich in Labyrinthen zurecht und nimmt den kürzesten Weg zwischen Futterquellen. Das macht den Vielköpfigen für Verkehrsplaner interessant, denn was der Mensch in jahrelanger Arbeit plant, erledigt der Pilz innerhalb von Stunden. In der Robotik sieht man im Schleimpilz ebenfalls eine große Zukunft. In Kultur oder als "Heimtier" werden Schleimpilze mit Haferflocken gefüttert, in der Natur ernähren sie sich von Bakterien. Forscher vermuten, dass sie das Gleichgewicht zwischen Pilzen und Bakterien im Boden halten.
In der Botanischen Staatssammlung in München befindet sich eine der größten Schleimpilz-Sammlungen der Welt mit über 60 Prozent der weltweit vorkommenden Arten. Während das Plasmodium jenes Lebensstadium ist, das am häufigsten auffällt, werden in der Sammlung nur die Fruchtkörper aufbewahrt - in Streichholzschachteln.
Service
INTERVIEWPARTNERIN:
Dr. Konstanze Bensch
Botanische Staatssammlung München
LINKS:
Online Datenbank und Suchmaske der Sammlung von Myxomyceten der Botanischen Staatssammlung München (englisch)
Website der Sammlung von Myxomyceten an der Botanischen Staatssammlung München (englisch)
BUCHTIPP:
Hermann Neubert, Wolfgang Novotny, Karlheinz Baumann: Die Myxomyceten Deutschlands und des angrenzenden Alpenraumes unter besonderer Berücksichtigung Österreichs.
Karlheinz Baumann Verlag, Gomaringen
Band 1, 1993
Band 2, 1995
Band 3, 2000
FILMTIPP:
Als wären sie nicht von dieser Welt. Der unmögliche Lebenswandel der Schleimpilze. Karlheinz Baumann. 43 Minuten.
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