Zwischenruf

von Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Wien)

Heute fürchten immer mehr Menschen den Verlust von Wohlstand und Lebensqualität. Sie spüren intuitiv, dass der Zug in die falsche Richtung rast. Die Indikatoren für düstere Zukunftsperspektiven sind Klimawandel, die immer größere Konzentration von Besitz und Vermögen bei wenigen Menschen, der Abbau sozialer Standards in westlichen Demokratien. Das gefährdet den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft.

Keine guten Aussichten! Und bei all den komplexen Abläufen überkommt den Einzelnen schnell ein Gefühl der Ohnmacht und Resignation. Da flüchten immer mehr Menschen ins Private und suchen Nischen, in denen es sich noch bequem leben lässt, oder in denen man die Probleme verdrängen kann. Es geht aber auch ganz anders: Dort, wo Menschen mit ihren Ideen, Träumen, gesellschaftlichen Utopien oder konkreten Handlungsmöglichkeiten nicht allein sind, sondern gemeinsam diese verändern wollen.

So ein Ort der Hoffnung ist das Weltsozialforum. Diese Woche fand es zum 12. Mal statt und zwar in der nordafrikanischen Stadt Tunis. Ein symbolträchtiger Ort in einem der wenigen Länder, Tunesien, in dem die Bezeichnung "Arabischer Frühling" berechtigt ist. Dort kamen Vertreter und Vertreterinnen von rund 4000 Organisationen zusammen. Sie gehören zu Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften oder Umweltinitiativen aus allen Teilen der Welt, und denken darüber nach, wie eine bessere, gerechtere Welt möglich ist.

In diesem Jahr stand das Weltsozialforum unter dem Motto: "Recht und Würde". In Seminaren, Workshops und Arbeitsgruppen wurden die Folgen der neoliberalen Herrschaft sowie menschenwürdige Alternativen diskutiert. Menschen sollen voneinander lernen, wie in anderen Teilen der Welt Widerstand organisiert wird, und es sollen Alternativen zur derzeit herrschenden Ordnung entwickelt werden. Die Ergebnisse und Denkanstöße könnten allen zu Gute kommen im Kampf gegen Armut und Umweltzerstörung. Menschen werden ermutigt, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Das Weltsozialforum versteht sich auch als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum im Schweizer Nobelskiort Davos. Hier kommen ja jährlich die Reichen und Mächtigen zusammen, jene also, die es in der Hand hätten, die Welt nach gerechten Kriterien zu gestalten. Beim Weltsozialforum kommen Menschen aus der ganzen Welt leider nur vier Tage zusammen, aber von dort kann etwas ausgehen, das Menschen ermutigt und zum Nachdenken bringt. Es kann nachhaltig sein und in die Gesellschaft hineinwirken, auf nationaler und regionaler Ebene.

Evangelische Christinnen und Christen verstehen sich als Teil der Gesellschaft. Als mündige Menschen delegieren sie nicht einfach das Schicksal der Menschheit an Politik und Wirtschaft. Sie glauben daran, dass sie Gott ermächtigt, die Gesellschaft mitzugestalten. Aber um wirklich etwas zu bewegen brauchen Menschen Vernetzung und die Ermutigung, dass sie es wagen, auch gegen den Strom zu schwimmen, an den Träumen und Utopien festzuhalten und ganz konkret zu handeln, an den Orten, wo jeder und jede lebt, als Konsument, als Bürger, als Mensch.

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Weltsozialforum 2015

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