Radiokolleg

Radiokolleg - Ein Tag auf tausend Seiten

James Joyce und sein Jahrhundertroman Ulysses
(1). Gestaltung: Johann Kneihs

Donnerstag, 16. Juni 1904, acht Uhr früh: Mit dieser Stunde beginnt der berühmteste Roman der Moderne. Wie Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" rangiert Ulysses auf den ersten Plätzen in Listen bedeutender Werke des 20. Jahrhunderts - wie allerdings auch in Verzeichnissen ungelesener Bücher. Denn James Joyces bekanntestes Buch gilt als schwierig, unverständlich, unlesbar. In der irischen Heimat des Verfassers wurde es nach seinem Erscheinen 1922 vor allem als obszön empfunden und war lange nicht erhältlich, in den USA bis 1933 verboten. Das Buch, seine Rezeptions- wie Entstehungsgeschichte sprechen von den Schwierigkeiten des Autors mit seinem Herkunftsland. So handelt Ulysses unter anderem von Bigotterie und Engstirnigkeit, dem Konservatismus und Antisemitismus einer Nation in ihren Geburtswehen. Joyce arbeitete daran, als er selbst Irland den Rücken gekehrt hatte. Die 18 Kapitel des Romans beschreiben Erlebnisse eines einzigen Tags in Dublin, eine Odyssee durch die moderne Stadt aus der Perspektive von drei Personen: dem jungen Lehrer Stephen Dedalus, dem Anzeigenmakler Leopold Bloom (dem zu Ehren Literaturfreunde den 16. Juni als Bloomsday begehen) und seiner Frau Molly. Jeder Abschnitt steht im Zeichen einer anderen Thematik und Symbolik, zum Ausdruck gebracht in jeweils passender Sprache, unter anderem mit der literarischen Technik des Bewusstseinsstroms. Sieben Jahre rang Joyce mit den rund 900 Seiten des Originals, 1000 in deutscher Übersetzung. Kommentare und erklärende Nachschlagewerke zum Buch umfassen inzwischen ein Vielfaches, so reich versehen ist Ulysses mit Zitaten und Anspielungen auf Gesellschaft und Politik, Literatur, Musik und Kunst von der Antike bis zur Zeitgeschichte. So viele Rätsel habe er in dem Buch versteckt, dass die Gelehrten jahrhundertelang beschäftigt sein würden, darüber zu streiten, was er gemeint habe, merkte Joyce an. Und das sei der einzige Weg, seine Unsterblichkeit zu sichern. "I've put in so many enigmas and puzzles that it will keep the professors busy for centuries arguing over what I meant, and that's the only way of insuring one's immortality."

Service

Lese-Empfehlungen:

James Joyce, "Ulysses", übersetzt von Hans Wollschläger, kommentierte Ausgabe zum 100. Bloomsday, Suhrkamp Verlag 2004
James Joyce, "Finnegans Wake deutsch. Gesammelte Annäherungen", herausgegeben von Klaus Reichert und Fritz Senn, Edition Suhrkamp 1989
James Joyce, "Ein Porträt des Künstlers als junger Mann", übersetzt von Friedhelm Rathjen unter Mitwirkung von Marcel Beyer, Manesse Verlag 2012
Fritz Senn, "Noch mehr über Joyce", Schöffling Verlag 2012
Fritz Senn, "Nichts gegen Joyce", Haffmans Verlag 1991 (antiquarisch erhältlich)
Fritz Senn, "Nicht nur nichts gegen Joyce", Haffmans Verlag 1999 (antiquarisch erhältlich)

Links:
James-Joyce-Stiftung Zürich
The James Joyce Centre Dublin


Veranstaltungen:

12. 6.: Ulysses - Babylonische Lesung
Radiokulturhaus
Argentinierstraße 30a, 1040 Wien, 19:30

16. 6.: "yes I said yes I will yes - celebrating Bloomsday 2015"
Literaturhaus Wien
Seidengasse 13, 1070 Wien, 19 Uhr

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