Gedanken für den Tag

von Kurt Scholz, Vorsitzender des Zukunftsfonds der Republik Österreich und ehemaliger Stadtschulratspräsident. "Mutig in dunklen Zeiten" - Christinnen und Christen im Widerstand. Gestaltung: Alexandra Mantler

Der Friedhof der Judenchristen

Der Bedienstete bei Tor 4 des Zentralfriedhofs war kurz angebunden. "Das sind die Christen", fuhr er mich an. "Nach denen fragt niemand."

Ich hatte mich erkundigt, ob es Informationen zu den so genannten "Judenchristen" gebe. So nannte man die Konvertiten, jene Menschen, die aus der mosaischen Religionsgemeinschaft ausgetreten waren. Ungefähr zu drei Viertel wurden sie Christen; ein Viertel blieb konfessionslos.

Bis 1938 fanden sie ihre letzte Ruhe im katholischen oder evangelischen Teil der Friedhöfe. Der Rassenwahn änderte dies: Ab sofort galt für Bestattungen nicht mehr das Religionsbekenntnis, sondern die "Rasse". Jüdische Konvertiten, mussten auf dem jüdischen Teil des Zentralfriedhofs bestattet werden. 800 Grabstätten gibt es dort. Kaum ein Besucher verliert sich dorthin. Niemand scheint sich auch wirklich zuständig zu fühlen.

Auf den Grabplatten, liest man: "In memoriam", "Deportiert nach Minsk mit ihren Kindern", "gestorben in Theresienstadt", in Dachau, "vergast in Belzec", oder "Schlaf, Mutti, gute Nacht", "Unsere liebe Edith". Jüdisch klingende Namen, darüber ein Kreuz.

"Hilde Juanne Ryvarden", steht auf einem Grabstein. Und: "Ihr Herz brach fern der Heimat". Angebracht hat es ihr Mann, ein Verurteilter, der überlebt hatte. Natürlich war seine Frau nicht "an gebrochenem Herzen" gestorben. Ihre Heimat war einmal die Mariahilferstrasse 31. Der Ort des Todes, laut Grabstein "fern der Heimat", war Auschwitz. 1943 war sie verhaftet, 1943 war sie ermordet worden.

Auf einer der wenigen gut gepflegten Grabstätten sehen wir den Zionsstern und darunter das christliche Kreuz. Geboren als Jude, gelebt als Christ, ermordet als Jude.

2003 hat man für die Konvertiten einen Gedenkstein aufgestellt. Dennoch sind auf diesem Friedhofsteil die Grabtafeln zerbrochen, die Steine umgestürzt, die Schilder verrostet. Die Todesdaten kann man lesen, nicht die Todesursache. Viele der Beerdigten setzten ihrem Leben selbst ein Ende.

Konvertiten. Ihre Gräber passen nicht so recht in unsere festen Vorstellungen von Opfern. So sehen sie auch aus, leider.

Aber ja, ein vorbildlich gepflegtes Grab gibt es auch: Der Österreichische Fußballverband hat es gestiftet, seinem "hochverdienten Präsidenten Dr. Ignaz Abeles in dankbarer Verehrung".

Dass es des Österreichischen Fußballverbandes bedarf, um das Grab eines Opfers am Zentralfriedhof zu pflegen, stimmt mich nachdenklich.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Giacomo Puccini/1858 - 1924
Album: OPER OHNE WORTE - DIE SCHÖNSTEN ARIEN IN ORCHESTERFASSUNG
Titel: O mio babbino caro/instr. / Arie der Lauretta aus der Oper in einem Akt "Gianni Schicchi" / Orchesterfassung
Anderssprachiger Titel: Väterchen, teures, höre
Orchester: Andre Kostelanetz
Leitung: Andre Kostelanetz
Orchester: Orchestra
Länge: 02:00 min
Label: Columbia / Sony SK 52556

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