Gedanken für den Tag

von Johnny M. Bertl, Musiker. "Dunkelgrau und zartbitter" - Gedanken zum 70. Geburtstag von Ludwig Hirsch. Gestaltung: Alexandra Mantler

Kunst & Talent

Man sagt, der Name Kunst käme von "können". Das glaub ich nicht, sonst wäre ja jeder, der was kann, Auto fahren oder Feuer löschen, ein Künstler. Nein, ich denke Kunst, und das steckt ja auch im Namen, kommt von künstlich im Unterschied zu natürlich. Ein Kunstwerk ist immer ein von Menschen geschaffenes Produkt.

Niemand käme auf die Idee, eine Blumenwiese in ihrer vollendeten Schönheit als Kunstwerk zu bezeichnen, erst die künstliche Abbildung auf Leinwand, die das Wesen ihrer Pracht erfasst, bezeichnen wir als Kunstwerk.

Dazu braucht's einen Künstler. Jemand also, der das Wesen von Dingen erkennt, und es als Bild, Musik, Literatur sichtbar, hörbar oder lesbar machen kann. Das heißt, ein Künstler sieht etwas, was andere nicht sehen und jetzt kommts: etwas, das mit reiner Logik nicht herleitbar ist. Diese "Sehergabe" ist das Talent. Talent ist weder lehr- noch lernbar.

Und genau so ein Talent besaß der Liederschreiber Ludwig Hirsch. Kein Musikstudium, kein "Songwritingcollege", nichts dergleichen. Und trotzdem vermochte er wie kaum ein anderer, aus dem Gefühl einer Zeit und der Stimmung eines Ortes Figuren zu extrahieren und diese in zärtliche Melodien zu hüllen.

Seine "Omama" z.B. (Ludwigs erstes Lied) ist das personifizierte Dilemma des Nachkriegs-Wien. Sie hat was Verbittertes, was Böses, was Dummes, sie wurde betrogen und hat daher auch was Bemitleidenswertes. Die Tragödie der vielen vom Krieg übriggelassenen alten Frauen in wenigen Zeilen auszudrücken, das kann nur jemand, der eben das Wesen der Dinge erkennt. Diese Fähigkeit liegt in der Wiege oder eben nicht.

Jo Zawinul, der weltberühmte Jazzpianist aus Wien, erzählte mir mal, dass er mit dreieinhalb Jahren ein Akkordeon bekommen hatte und sofort jede Melodie, die er hörte, spielen konnte. Das war ihm selbst unheimlich.

Und so lautet mein heutiger Gedanke: Künstler kann nur werden, der schon Künstler ist. Ludwig Hirsch war einer.

Service

Buch, Andy Zahradnik, Cornelia Köndgen, Johnny M. Bertl, "I lieg am Ruckn. Erinnerungen an Ludwig Hirsch", Verlag Ueberreuter

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Titel: GFT 160217 Gedanken für den Tag / Johnny M. Bertl
Länge: 03:49 min

weiteren Inhalt einblenden