Gedanken für den Tag

von Hubert Feichtlbauer, Publizist. Zum 100. Geburtstag des Kulturphilosophen Friedrich Heer. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Gespräch der Feinde"

Friedrich Heer war ein intellektueller Gigant. Ein Mahner und Vordenker für Österreich und Europa nach Ende des großen Barbarenkrieges, nach dem es viel Schmutz aufzuwühlen gab. Vielen Konservativen war er zu links, progressiven Intellektuellen verdächtig als verkappter Konservativer, vielen Kollegen aus der Wissenschaft in seinen sprachlichen Ausuferungen zu unseriös. Noch mehr, vor allem Junge, waren freilich fasziniert von der Bildkraft und Beispielhaftigkeit seiner Sprache. Das erste Buch, mit dem er 1949 große Aufmerksamkeit fand, war "Das Gespräch der Feinde". In einer Diskussion mit Studenten fasste er später das Anliegen anspruchsvoll zusammen:

"Konkret genommen, ist die Nächstenliebe für den, der sie ganz ernst nimmt, bereits Feindesliebe. Ich habe immer gerade gegen den nächsten und liebsten Menschen etwas. Wir müssen uns die Erkenntnis erkämpfen, dass wir dringend den Feind brauchen, weil er oft unser zweites Ich verkörpert, Gegenpol, Spiegelbild ist. Der einzige Freund, der ganz ehrlich zu uns ist."

Wir brauchen also einen Feind, um für unsere Sache überzeugend kämpfen zu können: Das ist eine Wirtshaus-Banalität. Aber welch eine Begründung liefert Heer: "Weil uns der Feind oft an die Schattenseite des eigenen Ich erinnert!" In der Politik hat man damals die Notwendigkeit des Dialogs rasch kapiert. Klassenkampf im Büro statt auf der Straße, Große Koalition, Sozialpartnerschaft. Auch in den Kirchen traten freundschaftliche Gespräche und gemeinsames Beten an die Stelle von Ausgrenzung und Bannfluch. Das 2. Vatikanische Konzil und Kardinal König waren wichtige Geburtshelfer des neuen Denkens. Ganz gewiss aber auch Friedrich Heer mit seiner kühnen Diagnose:

Irren ist menschlich. Irren ist göttlich. Irren kann schöpferisch sein.

Service

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Titel: GFT 160404 Gedanken für den Tag / Hubert Feichtlbauer
Länge: 03:49 min

Komponist/Komponistin: Frederic Chopin/1810 - 1849
Album: JORGE BOLET - ENCORES
Titel: Etüde op.25 Nr.1 in As-Dur für Klavier - Allegro sostenuto
Solist/Solistin: Jorge Bolet /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Decca 4173612

weiteren Inhalt einblenden