Zwischenruf

von Prof. Ulrich Körtner (Wien)

Jahr des Glaubens

Im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017 begehen die evangelischen Kirchen in Österreich heuer das Jahr des Glaubens. Öffentlich über den eigenen Glauben oder Unglauben zu sprechen, ist freilich nicht jedermanns Sache. Religion, so sagt man, ist Privatsache. Mehr noch: eine höchst intime Angelegenheit. Evangelikale Straßenprediger empfinden wir eher als peinlich. Selbst im Freundes- und Bekanntenkreis sind persönliche Glaubensstatements weithin tabu.

Woher kommt die Scham? Rührt sie vielleicht von der Angst, als unaufgeklärt und rückständig zu gelten? Es könnte ja peinlich wirken, offen zu gestehen, regelmäßig zu beten oder in die Kirche zu gehen. Ich erinnere mich gut, wie man mir von einem angesehenen Juristen, einem wirklichen Experten auf seinem Fachgebiet, halb bewundernd, halb irritiert erzählte, er lese die Bibel.

Spiritualität, die vermeintlich lebensfreundliche und undogmatische Form von Religion, ist heute durchaus salonfähig. Fernöstliche Meditations- und Körpertechniken, bewusste Ernährung, Komplementärmedizin und die Kraft des positiven Denkens stehen hoch im Kurs. Aber die Botschaft von dem gekreuzigten Gott, die Paulus als Evangelium - als gute Nachricht also - bezeichnet, stößt weithin auf Unverständnis und Ablehnung. Verbreitet ist die Kritik, hier werde ein gewalttätiger und sadistischer Gott verkündigt, dessen Religion in Geschichte und Gegenwart Gewalt legitimiere.

Der gekreuzigte Gott

Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief, er schäme sich des Evangeliums nicht. Es sei eine Kraft Gottes, die allen, die daran glauben, Heil und Rettung verschafft. Paulus verkündigt jedoch nicht einen Gott, der Gewalt ausübt, sondern im Gegenteil einen Gott, der Gewalt erleidet, weil er auf der Seite derer steht, die unter der Macht der Sünde leiden. Das Wort vom Kreuz, wie Paulus sein Evangelium auch nennt, besagt, dass Gott in Jesus Christus war und selbst den Tod erlitten hat. Gott war in jenem Menschen aus Nazareth, der gewaltlos lebte und gewaltlos die Liebe Gottes verkündigte, der seine Feinde liebte bis zum Tod am Kreuz. So wollte Gott Frieden stiften zwischen sich und den Menschen und die Welt mit sich versöhnen.

Die Botschaft von dem menschgewordenen und gekreuzigten Gott, der in den Schwachen mächtig ist, mag in einer Welt, die an das Recht der Stärkeren glaubt, wie eine Torheit erscheinen. Für Paulus aber ist sie eine Quelle der Kraft, der Zuversicht und der Hoffnung.

Der von einem unbekannten Paulusschüler verfasste 2. Timotheusbrief fordert seine Adressaten auf, sich weder für die Botschaft von Jesus Christus noch für Paulus zu schämen, der wegen seiner Verkündigungstätigkeit in Gefangenschaft geraten ist. Man nennt das heute fremdschämen. Sich des Evangeliums nicht zu schämen, heißt eben auch, zu denen zu stehen, die für das Evangelium eintreten oder um ihres christlichen Glaubens willen verfolgt werden. Und das sind heute nicht wenige. Auf ihre Not hinzuweisen und mit ihnen Solidarität zu üben: auch das gehört für mich zum Jahr des Glaubens.

Die Flüche der Gottlosen und das Halleluja der Frommen

Ohne Scham zu glauben, hat aber noch eine andere Facette. Wie die Witwe in Jesu Gleichnis dem Richter solange in den Ohren liegt, bis sie endlich Recht bekommt (vgl. Lk 18,1-8), so wenden sich auch Menschen, die Gott rückhaltlos vertrauen, an ihn nicht nur im Lobpreis und in der Fürbitte, sondern auch in der Klage. Einer wohltemperierten Frömmigkeit mögen ihre Gebete unverschämt klingen, so wie Hiobs Freunden seine leidenschaftliche Anklage gegen Gott. Martin Luther aber war davon überzeugt, dass selbst die Flüche der Gottlosen in Gottes Ohren manchmal besser klingen, als die Hallelujas der Frommen.

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