Zwischenruf
von Superintendent Olivier Dantine, Innsbruck.
18. Dezember 2016, 06:55
Ich nutze gerne das Internet, auch bleibe ich über sogenannte soziale Medien gerne in Kontakt mit anderen Menschen. Es ist so einfach wie nie zuvor geworden, an Informationen heranzukommen. Wo zuvor stundenlanges Recherchieren notwendig war, reichen jetzt einige wenige Suchanfragen.
Diese Fülle an Informationen hat aber auch ihre Schattenseiten. Es wird immer schwieriger, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verbreiten sich in Windeseile und können kaum aufgehalten werden. Politikerinnen, Journalistinnen und andere werden mit völlig falschen Zitaten in Verbindung gebracht, und ich habe den Eindruck, dass kaum jemand überprüft, ob das wirklich gesagt oder geschrieben wurde. Vielmehr empört man sich, teilt und kommentiert dieses vermeintliche Zitat, und schon schlägt eine Welle des Hasses über die falsch Zitierten herein.
Das ist alles andere als harmlos. Das mussten neulich auch Angestellte einer Pizzeria in Washington erfahren. Ein Mann bedrohte die Angestellten mit einer Waffe, weil er offenbar auf eigene Faust Beweise für eine Verschwörung suchen wollte. Eine völlig aus der Luft gegriffene Verschwörung, die eine Restaurantkette mit einem Kinderpornoring in Verbindung gebracht hat.
Der Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, der selbst sehr aktiv in sozialen Netzen ist, hat neulich über diese Hassbotschaften folgendes gesagt: "Sie verbreiten sich wie Gift in einer Gemeinschaft, die wir ,Soziale Medien' nennen, weil sie eigentlich dazu gedacht waren, Menschen in Kommunikation miteinander zu bringen." Er selbst war zuvor mit einer Welle von Hassbotschaften konfrontiert. Hintergrund war sein gemeinsam mit dem Münchner Kardinal Reinhard Marx absolvierter Besuch auf dem Jerusalemer Tempelberg. Vor dem Besuch der Moschee auf dem Tempelberg wurden die Bischöfe gebeten, ihr Brustkreuz zu verbergen. In einer extrem angespannten Situation an einem Ort, der schon seit langer Zeit heftigst umstritten ist, an dem schon geringste Provokationen zu großer Gewalt geführt haben, hielten die Bischöfe es für besser, dieser Bitte nachzukommen.
In den Reaktionen im Internet gab es dazu meist keine Reflexion über diese heikle Situation, in der sich die Bischöfe befanden. Vielmehr wurde jedes Argumentieren der Bischöfe von vielen ignoriert, es ging nur noch darum, den angeblichen Kniefall vor "dem Islam" anzuprangern. Und dies mit persönlichen und verletzenden Anschuldigungen.
Einen sorgsamen Umgang mit Sprache mahnt schon die Bibel ein. Das 8. Gebot, du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten, bezieht sich zwar zunächst auf die Situation bei Zeugenaussagen vor Gericht. Wenn ich aber die 10 Gebote als Lebensregeln für ein Leben in Freiheit verstehe, verstehe ich dieses Gebot auch als Schutzraum für freie Kommunikation. In einem Umfeld, in dem Verlogenheit die Regel ist, kann keine offene Kommunikation entstehen. Wenn Meinungsfreiheit dafür genutzt wird, falsche Nachrichten in die Welt zu setzen, oder Zitate bewusst verdreht werden, wenn statt sachliche Kritik zu üben, Hassbotschaften verschickt werden, dann schadet es letztlich der Meinungsfreiheit. Ich kann nicht offen und frei kommunizieren, wenn ich befürchten muss, dass meine Aussagen verdreht oder bewusst völlig falsch zitiert werden.
Voraussetzung für eine freie und offene Kommunikation wäre zunächst, dass Menschen wieder mehr aufeinander hören, und mehr auf die Argumente des Gegenübers eingehen, also den anderen in seiner Meinung und Haltung respektieren. Das ist freilich mühsamer, als seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, und frei von der Leber weg etwas in die Tastatur zu hämmern. Aber wer sich darauf einlässt, kann auch ein kleines Wunder erleben. Bischof Bedford-Strohm hat etwa darüber berichtet, dass sich der Autor eines wüsten Kommentars später dafür bei ihm entschuldigt hat. Für Bedford-Strohm ist das eine große Hoffnungserfahrung gewesen, schreibt er. Genau solche Erfahrungen sind es, die mich daran glauben lassen, dass Kommunikation, die der Versöhnung dient, auch im Internet möglich ist.