Jacques Derrida - AP/ALEXIS DUCLOS
Radiokolleg - Die Idee der Dekonstruktion
Wie Jacques Derrida das Denken neu konfigurierte
(1). Gestaltung: Thomas Mießgang
30. Jänner 2017, 09:30
Im Jahr 1967 erschienen nahezu zeitgleich drei Bücher eines unbekannten Dozenten an der École normale supérieure in Paris: "Grammatologie", "Die Schrift und die Differenz" und "Die Stimme und das Phänomen." Mit diesen Schriften etablierte sich der 1930 in Algerien geborene Philosoph Jacques Derrida aus dem Nichts heraus als eine der bedeutendsten Stimmen einer neuen Denkergeneration: Die Methode der Dekonstruktion als einer Doppelbewegung aus Auseinandernehmen und gleichzeitigem Zusammensetzen, die er darin entwickelt, wurde zu einer der wichtigsten theoretischen Moden und Methoden der vergangenen 30 Jahre und wirkt bis heute weiter. Ohne Dekonstruktion ist weder die Remix-Technik der Pop- und DJ-Kultur vorstellbar, noch die zeitgenössische Bricolage-Kunst und andere Phänomene aus dem Universum der technischen Bilder.
Jacques Derrida entwickelte flexible theoretische Modelle, die sich festen Zuschreibungen verweigern. Er attackierte den "Logozentrismus" von den Rändern her, denn, so der Philosoph, schon die Idee eines Mittelpunktes beinhalte unhinterfragtes theologisches oder metaphysisches Denken. Der Ausweg bestand für den Abenteurer der Ambivalenz in einem "Denken, das nichts sagen will" und über das "Sagen-Wollen und das Sich-sprechen-hören-Wollen hinausgeht."
Heute ist es vor allem die Denkfigur der "Hauntologie", welche Jacques Derrida in den 1990er Jahren in Kunst, Musik und Kulturkritik ein eindrucksvolles Afterleben entfaltet: Der Philosoph des Halbschattens war der Meinung, dass der Kommunismus trotz des Sektkorkengeknalles nach dem Ende des Realsozialismus keineswegs verschwunden war, sondern als "Gespenst" weiterlebte - Grundfigur jedes emanzipatorischen und nichtkapitalistischen Gegenentwurfs: "Ein Phantom stirbt niemals, sein Kommen und Wiederkommen ist das, was immer (noch) aussteht". So wenig wie Jacques Derrida in seiner (Anti-)Philosophie dingfest zu machen ist, so wenig lässt er sich weltanschaulich zuordnen. Er sei Kommunist gewesen in dem Sinne, in dem Kennedy ein Berliner war, meinte der Literaturwissenschafter Terry Eagleton. Vor allem aber war er ein Denker der Komplikation, welcher der Welt einen Werkzeugkasten hinterlassen hat, mit dem sie noch lange "an der Kontamination des Einfachen" arbeiten kann.
Trotz seiner intellektuellen Brillanz und seiner weitreichenden Strahlkraft war Jacques Derrida einer der kontroversiellsten Denker seiner Epoche: Mit "Schmeichelhaftem und kübelweise Schmutz" sei er gleichermaßen bedacht worden, schrieb die ZEIT in ihrem Nachruf anlässlich seines Todes im Jahr 2004. Seine Methode der differentiellen Bedeutungskonstitution und seine poetischen Sprachspiele irritieren und provozieren bis heute. Sein Kollege Louis Althusser nannte ihn "den einzigen Großen unserer Gegenwart und vielleicht den letzten für lange Zeit."
"Baujahr '67" ist ein kollektives Epochenporträt. Was hat das Gründungjahr von Ö1 bewegt? Und was davon ist heute noch in Betrieb? Ein Schwerpunkt zum 50er.
Service
Benoît Peeters: Jacques Derrida. Eine Biographie, Suhrkamp 2013
Jacques Derrida: Glas. Totenglocke, Wilhelm Fink Verlag 2006
Wetzel, Moebius (Hg.): absolute Jacques Derrida, Orange Press 2005
Ovidiu Anton and Alexandru Balasescu
Miroase a paradis. Über damals, jetzt und die Freiheit
Eröffnung: Donnerstag, 12. Januar 2017, 18.00 Uhr
Austellung bis 4. März 2017
Sendereihe
Gestaltung
- Thomas Mießgang