Radiokolleg - Libanon
Ein Vielvölkerstaat in der Zerreißprobe (4). Gestaltung: Johannes Kaup
16. März 2017, 09:05
Seit 1943 ist der von Frankreich seit dem Ersten Weltkrieg besetzte Libanon ein unabhängiger Staat. Nur 225 km lang ist der schmale steile Küstenstreifen, der den Libanon mit dem Mittelmeer verbindet. Auf einer Fläche von rund 10.000 Quadratkilometern - etwas kleiner als Oberösterreich - leben 6 Millionen Menschen. 4 Millionen davon sind Libanesen. Zusätzlich dazu kommen seit Ausbruch des Bürgerkriegs im Nachbarland rund 2 Millionen syrische Kriegsflüchtlinge, die im Libanon Schutz gefunden haben und unter prekären Bedingungen leben.
Im Norden und Osten grenzt er an Syrien, im Süden an Israel. Von den divergierenden politischen Interessen der beiden militärisch starken Nachbarländer ist auch die jüngere Geschichte des Libanon geprägt. Von 1949 bis 1969 galt der prosperierende Libanon als die "Schweiz des Nahen Ostens". Von 1975 bis 1990 wurde er von einem verheerenden Bürgerkrieg heimgesucht.
Im Zuge dessen marschierten syrische Soldaten im Libanon ein, schiitische Hisbollah-Milizen kontrollierten den Süden des Landes und Israel kämpfte im Libanon-Krieg gegen die PLO. Nach dem Friedenschluss durch das Abkommen von Taif wurde die zerstörte Infrastruktur des Landes sukzessive wieder aufgebaut. Nach der Ermordung des Libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri kam es 2005 zur "Zedern-Revolution" der Bevölkerung, die die syrischen Besatzungssoldaten zum Abzug zwang.
Historiker/innen sehen den Versuch nach der Unabhängigkeit eine gemeinsame libanesische Identität zu konstruieren als gescheitert an. Denn im Libanon gibt es 17 Unterschiedliche religiöse Gruppen. Ihr Selbstverständnis und ihre politischen Vorstellungen klaffen weit auseinander. Während die Muslime sich auf ihre Abstammung als Araber berufen, sehen sich die Christen als Nachfahren der Phönizier. Durch eine paritätisch festgelegte Beteiligung am politischen Prozess wird versucht, den zerbrechlichen Frieden unter der 17 unterschiedlichen Religionsgruppen angehörenden Bevölkerung, aufrecht zu erhalten.
So ist der Libanon seit dem "Nationalen Pakt" von 1943 durch ein System der konfessionell orientierten Machtaufteilung geprägt: Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein, der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein, der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein, der Oberbefehlshaber der Armee muss Christ sein. Nach zweijähriger Sedisvakanz hat Libanon seit Oktober 2016 wieder einen Staatspräsidenten. Das Parlament wählte den maronitischen Christen Michel Aoun.
Johannes Kaup hat den Libanon besucht. Er porträtiert den Libanon in seiner Geschichte und Kultur, Politik und Religion, in seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage und nicht zuletzt als Flüchtlingsaufnahmeland mit all den Herausforderungen, die den Vielvölkerstaat an den Rand einer Zerreißprobe bringen.