Gedanken für den Tag
Melanie Wolfers über Freundschaft
"Von der Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein" - Freunde fürs Leben. Die Theologin, Autorin und Ordensfrau Melanie Wolfers über die Überforderung in der westlichen Welt, die immer öfter in Depressionen und Burnout mündet. - Gestaltung: Alexandra Mantler
18. Mai 2017, 06:56
Beim morgendlichen Blick in den Spiegel stichelt es: "Also deine Friseur, die geht ja gar nicht! Und schau dir mal deine Falten an!" Doch nicht nur, wenn es um das eigene Aussehen geht, lässt der innere Selbstkritiker kein gutes Haar an einem. Meistens fällt der Blick ins eigene Innere ähnlich negativ aus. Harsche Selbstkritik gehört zum Volksleiden Nummer eins.
Ein wichtiger Grund dafür liegt in dem irrsinnigen Druck der Leistungsgesellschaft: "Optimiere dich, oder du bist raus!" Es gilt, das Beste aus sich zu machen. Und weil es zu jedem Besten immer noch ein Besser gibt, schraubt sich das Ego-Tuning wie von selbst in die Höhe. Zugleich nährt es das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, da man den überhöhten eigenen Erwartungen nicht gerecht geworden ist. Und so flüstert es in einem: "Ich bin nicht gut genug. Nicht schlank genug. Nicht cool genug."
Doch der an Optimierung geschulte Blick sieht eine Sache grundlegend falsch! Er übersieht: Grenzen und Schwächen sind Grundgegebenheiten unseres Daseins. Sie prägen das Leben eines jeden Menschen - sogar mein eigenes. Wer dies in sein Selbstbild integriert, kann mit einem verständnisvolleren Blick auf sich schauen.
Der Vergleich mit einer zwischenmenschlichen Freundschaft hilft weiter: Da weiß jemand um meine Stärken und Schwächen, um meine Erfolge und Niederlagen - und mag mich so, wie ich bin. In der Gegenwart einer solchen Person lässt sich aufatmen.
Mit sich selbst befreundet sein angesichts der eigenen Mittelmäßigkeit funktioniert ähnlich: Will ich Frieden schließen auch mit dem, was meinem Selbstbild widerspricht, mit meinen Grenzen und Schwächen?
Eine spirituelle Grunderfahrung liegt darin, dass das eigene Leben mit seinem Gelungenen und Zerbrochenen im Großen und Ganzen geborgen ist. Das christliche Vertrauen, sich nicht perfektionieren zu müssen, um ein wertvoller Mensch zu sein, ist unsagbar befreiend.
Service
Buch, Melanie Wolfers, "Freunde fürs Leben. Von der Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein", adeo-Verlag
Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes
Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Jerome Kern/1885 - 1945
Album: MENUHIN AND GRAPPELLI PLAY BERLIN, KERN, PORTER AND RODGERS&HART
Titel: The Way you look tonight/instr. / aus dem Film "Swing Time"
Solist/Solistin: Yehudi Menuhin /Violine m.Begl.
Solist/Solistin: Stephane Grappelli /Violine m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: EMI 7692192