Gedanken für den Tag
Barbara Denschers armenische Impressionen
von Barbara Denscher, Kulturwissenschafterin und Publizistin. "Nur Tee gibt es nicht". Eine Sendung im Rahmen des Ö1-Schwerpunkts "Nebenan. Erkundungen in Europas Nachbarschaft". - Gestaltung: Alexandra Mantler
3. Juni 2017, 06:56
Wenn Armenier in eine fremde Stadt kommen, dann suchen sie als erstes die armenische Kirche auf - so wird häufig erzählt. In Wien, wo es eine der frühchristlichen Märtyrerin Hripsime geweihte Kirche gibt, wird dies durchaus bestätigt. Das Gotteshaus und das angeschlossene Gemeindezentrum haben neben der religiösen Funktion auch eine wichtige soziale Bedeutung: Hier trifft man einander, hier feiert man Feste, hier gibt es die verschiedensten Vereinsaktivitäten, hier hat auch die armenische Samstagsschule ihre Klassenräume - und hierher kommen häufig auch Armenierinnen und Armenier, die sich nur vorübergehend in Wien aufhalten.
Rund 95 Prozent aller Armenier gehören der Armenisch-Apostolischen Kirche an, die ihren eigenen Ritus hat und zur Gruppe der orientalischen Ostkirchen gerechnet wird. Seit jeher ist sie einer der zentralen Faktoren der armenischen Gesellschaft. Für die Armenier, die über Hunderte von Jahren keinen eigenen Staat hatten und in einem vorwiegend nichtchristlichen Umfeld lebten, war die Institution Kirche das einzige verbindende Element. Sie wurde zum Träger der nationalen und kulturellen Identität - als Armenier und Armenierin definierte man sich (und das gilt weitgehend auch heute noch) über die Religion. Die Sprache kann aufgegeben, vergessen, gar nie gelernt werden, und dennoch bleibt man Armenier und Armenierin.
Noch stärker als für das Gebiet der heutigen Republik Armenien gilt das für die Diaspora. Trotz des zu manchen Zeiten und mancherorts starken Anpassungsdruckes hat es - bis auf Ausnahmefälle - kaum je Konversionen gegeben. Die Sprache wurde sehr wohl gewechselt, nicht aber der Glaube.
In Wien erzählte mir ein aus Syrien stammender Armenier, dass in seiner kleinen Heimatgemeinde die Begriffe "Armenier" und "Christ" Synonyme gewesen seien. Einmal, so mein Bekannter, sei einer seiner Landsleute nach Wien gekommen und habe, verwundert über die vielen Kirchen der Stadt, gefragt: "Sind hier alle Leute Armenier?"
Service
Barbara Denscher, "Im Schatten des Ararat. Reportage Armenien", Picus Verlag
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Urheber/Urheberin: Djivan Gasparyan & Ensemble
Titel: Armenian Romances: Housher
Ausführender/Ausführende: Djivan Gasparyan & Ensemble
Länge: 02:00 min
Label: Network Medien GmbH LC 6759