Zwischenruf

Gisela Ebmer über Rücktritt in Politik und Religion

Pfingsten ist das Fest des Mutes, meint Gisela Ebmer, Inspektorin für evangelischen Religionsunterricht an den Höheren Schulen in Wien, und macht sich Gedanken über mutige Taten in jüngster Vergangenheit. - Gestaltung: Martin Gross

In den letzten Wochen sind zwei wichtige Menschen der österreichischen Politik zurückgetreten. Reinhold Mitterlehner und Eva Glawischnig. Für kurze Zeit war der Aufruhr in der Bevölkerung groß: Zurücktreten - das tut man nicht. Das ist ein ganz seltener Ausnahmefall, ein Schuldeingeständnis oder eine Provokation.

Persönlich bedeutet so ein Rücktritt sicher eine sehr große Veränderung: Meine Karriere ist zu Ende, ich habe keinen Einfluss mehr, keine Macht, ich kann nicht mehr mitgestalten. Ich weiß nicht, welchen Schwerpunkt ich nun meinem Leben geben soll, was tun mit der völlig frei zur Verfügung stehenden Zeit und Zukunft? Wer bin ich dann eigentlich noch? Wenn ich nicht als Minister, Vizekanzler, Clubobfrau in Pension gehe? Und wovon werde ich leben? Bisher habe ich ja doch ganz gut verdient. Zurücktreten kann heißen: Machtverlust, Identitätsverlust, Sinnverlust und finanzieller Verlust.

Gesellschaftlich gesehen bedeutet Rücktritt ein Scheitern: In einer Welt, in der es darum geht, unbegrenzt zu wachsen, immer mehr zu leisten und zu produzieren, erfolgreich zu sein, Karriere zu machen, reich zu sein - da passt ein Rücktritt einfach nicht hinein. Er irritiert, verschreckt, verunsichert alle, die in der Nähe oder am Rande davon betroffen sind.

Für engagierte Christen und Christinnen bedeutet ein Rücktritt vielleicht einen Verrat an der Botschaft Jesu: Jesus ist auch nicht zurückgetreten, obwohl er von allen möglichen Bedrohungen und Gefahren wusste. Er ist seinen Weg zu Ende gegangen, hat sich weiterhin eingesetzt für das Reich Gottes, für das Wohlergehen aller seiner Mitmenschen. Er hat weiterhin Gerechtigkeit und Liebe eingemahnt. Er hat nicht aufgegeben. Wenn wir für unseren Glauben brennen, dann können wir uns doch nicht so einfach aus dem Staub machen. Glaube und politisches Eintreten verlangen eben auch Opfer.

Der deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann hat zu Beginn der 1970er Jahre in einem Radiovortrag die Merkmale eines Politikers definiert, der an die Rechtfertigung Gottes glaubt und diesen Glauben auch in seinem Amt umsetzt: "Wer Gott zutraut, dass er eingreift, wo es ihm notwendig erscheint, der weiß auch etwas von der Vorläufigkeit sogenannter schicksalsschwerer Entscheidungen. Es kommt Ruhe ins Spiel und Gelassenheit. Wer gelassen ist, weil der Glaube an Gottes Handeln ihn befähigt, die letztgültige Bedeutung seines eigenen Tuns und Lassens nicht zu überschätzen, der wird auf manche Taktiken und Umwege, Zugeständnisse und faule Kompromisse verzichten können. Er traut sich dann auch, Unbequemes zu sagen und nicht auf die Gunst der Interessensgruppen zu schielen. Er wird weniger anfällig sein für falschen Ehrgeiz in Bezug auf seine Person. Er wird Stehvermögen haben, wo die Sache es ihm gebietet, Aber er wird solches Stehvermögen nicht mit Sitzfleisch verwechseln. Er wird nicht zögern, seinen Hut zu nehmen, wo sein Gewissen ihm das gebietet oder wo der demonstrative Rücktritt wirksamer ist als der ohnmächtige Widerstand."

Pfingsten ist das Fest des Mutes. Die Jünger und Jüngerinnen Jesu, die sich nach Jesu Tod angstvoll versteckt hatten, sind plötzlich vom heiligen Geist überwältigt worden. Sie haben sich getraut, in aller Öffentlichkeit von Jesus und seinen Taten zu sprechen.

Zurücktreten ist eine mutige Sache. Zurücktreten macht den Weg frei für neues Leben im persönlichen wie auch im politischen Bereich. Trau dich, zu dem zu stehen, was du kannst und wofür du brennst, und such dir den passenden Ort, das zu verwirklichen!

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