Beklemmende Bilder einer vergangenen Epoche

14. Juni 2017, 11:05

Zwei Volksschulen nebeneinander, eine jüdische und eine christliche. Kommen die Schüler/innen einmal gleichzeitig aus dem Unterricht, dann ist ein Zusammenstoß unvermeidlich, ein Krieg mit Fäusten und Steinen. Plötzlich lösen sich Schüler aus den kämpfenden Lagern und stehen stumm da, "weder semitisch noch arisch, mit der Wehmut Fremder in den Augen, fremd gegenüber diesen wie jenen".

Der 1880 in Orscha (heute in Weißrussland) geborene Gerschon Schoffmann, der seine bedeutendsten literarischen Schaffensperioden in Österreich hatte, ist hierzulande nahezu unbekannt. Der stets in hebräischer Sprache schreibende Schoffmann war vor dem russisch-japanischen Krieg nach Galizien und weiter nach Wien emigriert. 1921 war er mit seiner Frau nach Wetzelsdorf (bei Graz) gezogen, wo er bis zur Flucht nach Palästina 1938 lebte. Innerhalb der hebräischen Literaturgeschichte nahm der Autor einen fixen Platz ein, wurde für seine Werke mit dem renommierten Bialik-Preis (1947), dem Israel-Preis für Literatur (1956), Israels wichtigster Literatur-Auszeichnung, und 1969 mit den Neumann-Preis für Literatur ausgezeichnet. Gerschon Schoffmann starb 1972 in Gedera, Israel.

Eine Gesamtausgabe von Gerschon Schoffmanns Erzählungen erschien zuletzt in fünf Bänden 1960 in Tel Aviv. 2017 erscheint im Literaturverlag Droschl erstmals eine Auswahl von Erzählungen auf Deutsch. Diese poetischen Erzählminiaturen, im Stil des Vorbildes Peter Altenberg verfasst, beschreiben Alltagsgeschichten und spannen dabei einen weiten Bogen. Von den Geschichten über das zaristische Schtetl, das Elend der Menschen auf der Flucht bis zur Bedrohung durch den Antisemitismus, Gerschon Schoffmann zeichnet unverwechselbare und beklemmende Bilder einer fremden Welt und gibt tiefen Einblick in eine vergangene Epoche.

Service

Gerschon Schoffmann, "Fremde" und andere Erzählungen aus "Nicht für immer", Erzählungen, aus dem Hebräischen von Ruth Achlama, Literaturverlag Droschl, 2017

Sendereihe

• Radiogeschichten

Gestaltung

• Stefanie Zussner