Zwischenruf

Thomas Hennefeld über politische Verantwortung

"Fragen zur politischen Verantwortung" von Thomas Hennefeld, evangelisch-reformierter Landessuperintendent in Österreich. - Gestaltung: Martin Gross

Der Wahlkampf tritt in die heiße Phase. Ein Fernsehduell jagt das nächste. Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten tingeln durchs Land. Alle bringen sich in Position und sind bemüht, sich möglichst attraktiv darzustellen und Parolen auszugeben, mit denen sie Wählerinnen und Wähler überzeugen und gewinnen wollen.

Unübersichtlich ist die Parteienlandschaft. Wie kann man sich da orientieren? Die christlichen Kirchen geben keine Wahlempfehlungen ab. Das bedeutet aber nicht, dass Christinnen und Christen unpolitisch sind oder sein sollen, auch wenn von manchen immer wieder der Ruf ertönt, die Kirchen sollen sich in die Politik nicht einmischen.

Nach christlicher Vorstellung ist Gott in Jesus von Nazareth Mensch geworden, um den Menschen nahe zu sein, um sich einzumischen in das Getriebe dieser Welt. Hätte er das nicht getan, wäre Jesus auch nicht gekreuzigt worden. Die biblischen Geschichten, die für Evangelische die Grundlage ihres Glaubens sind, spielen nicht im Jenseits oder in einem fernen Himmel sondern hier auf der Erde. Die Reformatoren vor 500 Jahren wollten nicht nur die Kirche verändern sondern auch die Gesellschaft mitgestalten. Daher müssen sich Christinnen und Christen gerade auch vor Wahlen fragen, welche Haltungen, Aussagen und Positionen von Vertreterinnen und Vertretern politischer Parteien mit ihren Haltungen, Werten und Überzeugungen vereinbar sind und welche nicht.

Um das aufzuzeigen, hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich ein Instrumentarium vor wichtigen Wahlen entwickelt, sowohl vor Landtags-, als auch Nationalratswahlen. Fragen zur politischen Verantwortung. Diese Fragen können als Orientierungshilfe dienen, welche Parteien für Christinnen und Christen wählbar sind und welche nicht.

Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir in einem Land leben, in dem wir die Möglichkeit haben, frei zu wählen. So können wir mitentscheiden, in welche Richtung sich unser Land bewegen soll. Ein Wahlkampf ist ein politischer Wettbewerb, und es ist gut, dass es verschiedene Meinungen und Haltungen gibt. Auch Christinnen und Christen können zu einzelnen Themen unterschiedliche Meinungen haben, aber es gibt biblisch und theologisch begründete Leitlinien für Christinnen und Christen.

Christinnen und Christen sollten hellhörig werden, ja sich alarmiert zeigen, wo Menschenrechte relativiert und demokratische Standards ausgehöhlt werden. Und bei Antisemitismus und Rassismus darf es keine Toleranz geben.

Der Katalog, mit dem sich Christinnen und Christen auseinandersetzen sollen umfasst Fragen, wie folgende: In welchem Ausmaß und auf welche Weise werden Angst, Unsicherheit und Vorurteile der Menschen gefördert oder vermindert? Welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut im Land/der Stadt werden vorgesehen? Wie sprechen Politiker sowie die Vertreter/innen der Parteien von Minderheiten? Welchen Stellenwert hat der umfassende Schutz des Lebens? Und welchen Beitrag kann Europa zu sozialem Ausgleich und Frieden leisten?

Das sind nur einige der Fragen zur politischen Verantwortung. Wenn hier auch keine Antworten gegeben werden, so steckt in der Verantwortung die Antwort irgendwie schon drinnen. Für sich sollte jeder und jede eine Antwort finden können.

Menschen sollen durch diesen Fragenkatalog nicht bevormundet werden, sondern mit Hilfe der Fragen zur politischen Verantwortung ins Gespräch kommen, ihr Bewusstsein schärfen und sensibilisiert werden für ihre Mitverantwortung als Bürgerinnen und Bürger in der Gesellschaft. So können sie ein gedeihliches Zusammenleben aller Menschen in unserem Land stärken, ganz im Sinn des alttestamentlichen Propheten Jeremia, der die Parole ausgegeben hat: "Bemüht euch um das Wohl der Stadt!" Damit wollte der Prophet daran erinnern, dass Menschen mitverantwortlich sind dafür, was in der Stadt und in dem Land, in dem sie leben, geschieht oder auch nicht geschieht.

Denn alles, was wir tun, hat Auswirkungen auf uns selbst und auf die Gesellschaft: was wir essen und trinken, wie wir uns fortbewegen und wie wir wohnen, was wir reden und wozu wir schweigen und eben auch - was und wen wir wählen.

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Ökumenischer Rat der Kirchen: Fragen zur politischen Verantwortung

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