ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Gedanken für den Tag
Johanna Schwanberg über die Schätze des neuen Dom Museum Wien
"Kunst verändert". Johanna Schwanberg, Leiterin des Dom Museum Wien, begibt sich in einen inspirierenden Dialog mit ausgewählten Kunstwerken aus den Beständen des Museums. - Gestaltung: Alexandra Mantler
4. Oktober 2017, 06:56
Eine Skulptur, die unter die Haut geht. Denn sie zeigt eine verzweifelte Mutter, die ihren toten Sohn beweint. Pietas, also Darstellungen der Gottesmutter Maria mit dem Leichnam Christi auf dem Schoß, gehören zu den beliebtesten Motiven in der mittelalterlichen Kunst. Sie sollten die Gläubigen zum Mitfühlen bewegen.
Die Wopfinger Pieta in unseren Sammlungen ist ein besonderes Stück. Sie entstand um das Jahr 1420 und interessiert mich aufgrund der formal spannenden Komposition, die eine Kreuzform ergibt. Das Kreuz entsteht durch den liegenden, horizontalen Körper Jesu und durch die vertikal sitzendende Figur Marias. Auffallend und künstlerisch wertvoll sind gestalterische Momente wie etwa der steife Oberkörper des toten Gottessohnes, der links weit über die Standplatte hinausragt und so eine ungemeine Dynamik erzeugt.
Mich fesseln aber auch Details dieser farbig gefassten Holzskulptur - wie die Hand der Maria, die zärtlich den Kopf des Sohnes stützt. Oder die Blutstropfen auf dem Schleier der Gottesmutter. Durch sie ergibt sich ein zeitliches Moment. Sie sind Zeugnisse der Kreuzabnahme, bei der das Blut des Gekreuzigten auf die Trauernde herabgetropft ist.
Die Skulptur interessiert mich noch aus einem ganz anderen Grund. Sie ist heute alles andere als perfekt. Das Objekt thematisiert nicht nur Verwundung, sondern ist selbst verwundet. Es weist durch seine jahrhundertealte Geschichte Verletzungen auf. Es sind Spuren der Zerstörung durch Holzwurmbefall sichtbar und die Restaurierungsversuche, diesen in den Griff zu bekommen.
Die Wopfinger Pieta hält ein Moment aus der Leidensgeschichte Jesu fest. Sie berührt ein Thema, das darüber hinaus jede Mutter betrifft. Denn Mutter sein, bedeutet nicht nur unendliche Liebe zu verspüren, sich täglich am Lachen des Kindes zu erfreuen, sondern auch ständig mit Angst umzugehen. Auch wenn man als Mutter nur Bruchteile von Sekunden den Gedanken eines möglichen Verlustes zulässt, könnte man laut aufschreien. Ganz zu schweigen von Müttern, denen wirklich ein Kind vom Tod entrissen wurde.
Service
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Sendereihe
Gestaltung
Playlist
Komponist/Komponistin: Loreena McKennitt
Album: THE BOOK OF SECRETS
Titel: La serenissima/instr.
Solist/Solistin: Loreena McKennitt /Keyboards, Harfe m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: WEA 0630194042