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Dimensionen
Wir, die Außergewöhnlichen
Die Gesellschaft der Singularitäten
Von Nikolaus Halmer
19. März 2018, 19:05
Seit den 1970er Jahren leben die Menschen ihren Individualismus in einer neuen und radikaleren Form aus. Nicht mehr das Allgemeine und Normierte gilt als oberster Wert, sondern das Außergewöhnliche und Singuläre. Der Soziologe Andreas Reckwitz analysiert in seiner umfangreichen Studie "Die Gesellschaft der Singularitäten" dieses vielschichtige Phänomen.
Gefragt ist heute der "Connaisseur", der Fachmann fürs Genießen mit gut dotiertem Beruf, der sein Leben als Abfolge von exquisiten Reisen, extravaganten Speisen und kulturellen Hochgenüssen arrangiert. Das eigene Leben soll sich zu einem einzigartigen Kunstwerk formen, das sich vom Standard des Normalen abhebt.
Die Protagonisten dieses singulären Lebensstils fühlen sich als "strahlende" Sieger der Spätmoderne. Sie distanzieren sich von der "neuen Unterklasse" der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger. Einer Gruppe von Marginalisierten, die als "gesellschaftlich Abgehängte" zu Zaungästen der Performance der Einzigartigen werden. So entsteht eine Kluft, in der Reckwitz ein erhebliches Konfliktpotenzial für die zukünftige Gesellschaft verortet.
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Literatur:
Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Suhrkamp Verlag
Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Suhrkamp Verlag
Tristan Garcia: Das intensive Leben. Eine moderne Obsession, Suhrkamp Verlag