Zwischenruf

Hermann Miklas über Sorgen

"Alle eure Sorge werft auf ihn (1. Petrus 5, 7)". Anhand dieses Bibelzitats erklärt Hermann Miklas, ehemaliger evangelisch-lutherischer Superintendent der Steiermark, wie mit Sorgen umgegangen werden kann. - Gestaltung: Martin Gross

Unsere Zeit ist von so vielen Sorgen und Ängsten beherrscht: Von der Sorge um die ökologische Zukunft, von der Sorge vor unkontrollierbaren Flüchtlingsströmen, von der Sorge um eine zunehmende politische Radikalisierung, von der Angst vor Terror und Krieg, von der Angst vor Verlust der eigenen Sicherheit.Und all diese Sorgen - sie sind ja wirklich berechtigt!

Heute versuchen Menschen vor allem kollektiv, ihre Ängste abzuwerfen. Nur richten sie ihre Aggressionen dabei insbesondere gegen jene, die sie selbst halt gerade für die Schuldigen halten - ungeachtet dessen, dass die Dinge in Wirklichkeit sehr viel komplexer sind. Und so verschärfen sie damit die Lage meist noch mehr, als dass sie etwas zur Lösung beitragen würden.

In der evangelischen Kirche ist diesem Sonntag ein auch diesbezüglich bemerkenswerter Bibelvers zugeordnet: "Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch." Jetzt einmal abgesehen vom Inhalt - allein schon das Bild ist stark: W e r f t eure Sorge auf ihn. - Ich sehe das so richtig vor mir, wie jemand Jesus Christus mit all seinen Sorgen bewirft. "Ballein" heißt es auf Griechisch (unser deutsches Wort "Ball" kommt davon). Bei diesem Herumballern mit den eigenen Sorgen ist auf der einen Seite ganz viel Wut spürbar (vielleicht auch Verzweiflung), auf der anderen Seite aber auch ein hohes Potential an Energie - und nicht zuletzt ein zunehmender Lustfaktor.

Das Faszinierende daran: Der erste Petrusbrief der Bibel lädt ausdrücklich zu einer solchen wütend-lustvollen Form von Sorgenabladen ein. Das tut gut! Erst auf den zweiten Blick melden sich auch Zweifel an. Wie kann, wie soll das gehen? Was macht Gott eigentlich mit all den zugeworfenen Problem-Bällen? Ent-sorgt er sie in irgendeiner Form? Oder sammelt er sie? - Im ursprünglichen Bibeltext folgt gleich danach noch ein interessanter Zusatz: "Alle eure Sorge werft auf ihn - denn er sorgt für euch!" - Emotional ausgesprochen wohltuend! Gleich aber meldet die ratio schon wieder Zweifel an: Er sorgt für euch - ist das tatsächlich so einfach? Im Sinn von: Tut´s euch nix an, der Papa (im Himmel) wird´s schon richten!?

Ich denke, nicht leichtfertige Sorglosigkeit ist das Ziel des Ballast-Abwerfens, sondern Gelassenheit. (Übrigens: Bei "Ballast", da taucht das Griechische "ballein" schon wieder auf!). Mit anderen Worten: Sorgen machen - ja. Das ist berechtigt; das ist oft notwendig; das kann sogar ein Zeichen von Ernstnehmen einer Situation sein. Aber sich nicht von den Sorgen beherrschen lassen. Sondern einen Ort haben, an dem man sie abladen kann. Oder eben: Jemanden, auf den man sie werfen kann. Der das auch aushält - und der die Sorgen mit uns teilt. Selbst aber, von der schweren Bürde entlastet, ist man hinfort befreit zu größerer Gelassenheit.

Das mit dem "Er sorgt für euch" verstehe ich so: Der Sorgen-Rucksack bleibt. Aber er ist nicht mehr so drückend schwer. Statt des lähmenden Ballastes ist er nunmehr gefüllt mit dem, was wir zum Leben brauchen. Während des Ausmistens hat uns - ohne dass wir es richtig bemerkt hätten - eine geheimnisvolle Hand gewissermaßen eine Portion göttlichen Traubenzuckers eingepackt: Kraft zum Weitergehen, Kraft zur Lösung von Problemen, Kreativität zum Entwickeln ganz neuer Ideen und Perspektiven - und (wo nötig) auch Kraft, um Widerstand zu leisten.

Mir gefällt dieses Bild. Ich finde es für mich persönlich hilfreich. Und ein Stück von dieser kraftvoll-erfrischenden Gelassenheit würde ich gern auch anderen Menschen vermitteln. Menschen, die sich von ihren Sorgen, ihren Problemen, ihrer Schuld, ihrer Scham manchmal so sehr hinunterziehen lassen, dass man es kaum mehr mitanschauen kann. Doch, wie eingangs schon gesagt: Das Ganze hat nicht nur eine individuelle Dimension, sondern durchaus auch eine gesellschaftlich-politische.

Gerne möchte ich es daher auch unserer Gesellschaft zurufen: Werft alle eure Sorgen und Ängste nicht aufeinander und gegeneinander, sondern: "Alle eure Sorge werft auf ihn!" Und lasst euch im Gegenzug dazu etwas einpacken vom göttlichen Traubenzucker der Gelassenheit, der konstruktiven Kraft und des Vertrauens. Des Vertrauens auf Gottes ausgleichende Hand. Denn ja: ".er sorgt für euch!"

Sendereihe

Gestaltung