Das Ö1 Konzert

Bernstein, Gershwin, Ives

Minnesota Orchestra, Dirigent: Osmo Vänskä; Inon Barnatan, Klavier. Leonard Bernstein: Ouvertüre zu "Candide" George Gershwin: Klavierkonzert F-Dur Charles Ives: Symphonie Nr. 2 (aufgenommen am 6. August in der Royal Albert Hall in London im Rahmen der "Proms 2018"). Präsentation: Peter Kislinger.

Alle falschen Noten sind richtig - ich will das so!

Als Charles Ives (1874-1954) dem Rat des Vaters folgte - "Ohren auf, mein Sohn!" - erkannte er, dass in einer beherzt blasenden Dorfkapelle oder im selbstvergessenen Gefiedel mehr Musik stecken kann als in virtuosen Tastenläufen. Ives, der in Yale das Kompositionsstudium abschloss, Musik als Beruf aufgab und schließlich als Versicherungsmakler zu Wohlstand kam, gilt den einen als mutwilliger Exzentriker, andere stilisierten Charles Ives zum großen Einsamen, zum eigenbrötlerischen, genialischen Naturburschen, der etliche Stilelemente der Musik des 20. Jahrhunderts im Alleingang entwickelt haben soll: Atonalität, Polytonalität, Polyrhythmik, Cluster.

Heute weiß man, dass Ives seine Zeitgenossen Debussy, Ravel, Strawinsky, Schönberg (dessen Opus 11) und besonders Scriabin recht genau gekannt hat. In seinen letzten 20 Lebensjahren hat Ives jene Werke, die ab der Jahrhundertwende entstanden waren, auf noch zukünftiger trimmte - hier eine Septime, da eine None statt biederer Oktaven. Einzelnen Stimmen gab er verschiedene Rhythmen, und Schlussakkorde hörten sich nun noch wilder an als die laute Dissonanz am Ende seiner 2. Symphonie, an der er von 1897 bis 1902 arbeitete. Uraufgeführt wurde sie erst am 22. Februar 1951 in der Carnegie Hall in New York City von den New Yorker Philharmonikern unter Leonard Bernstein.

Mehr als ein Drittel seines mehr als 600 Stücke umfassenden Oeuvres benutzt Bach, Beethoven, Brahms, Wagner, auch Debussy, als Material. Auch Hymnen, patriotische Lieder, Märsche, Hornrufe, Trommelrhythmen, College-Lieder und Schlachtgesänge der Baseballteams zitiert, variiert, paraphrasiert, transkribiert und collagiert Ives. Den Rekord stellt er mit 20 Zitaten in einer Komposition auf. Ein amerikanisches Publikum erkennt in der der 2. Symphonie von Ives meist mühelos Zitatfetzen amerikanischer Volkslieder - "Bringing in the Sheaves"; "Columbia, Gem of the Ocean"; "America the Beautiful"; "Turkey in the Straw" und so weiter und so fort. Am häufigsten verleibt sich seine Musik Beethovens Fünfte ein, die im 19. Jahrhundert in den USA beliebteste Symphonie. Die "Zweite Ives" endet mit einer - nicht zu überhörenden - saftigen Dissonanz.


Vom fiesen Sohn zum Dichter des Klaviers

Der Londoner "Evening Standard" nannte Inon Barnatan einen "echten Dichter des Klaviers". Als wichtigsten Einfluss bezeichnet er seine Mutter. Sie war Tänzerin, die aus der Martha Graham Schule hervorgegangen war. So verspürte er "als Kind keinen Druck, Musiker zu werden." Die Frau Mama spielte für den Hausgebrauch Klavier. Das drei Jahre alte Söhnchen begann die Mutter auf falsche Noten hinzuweisen - das sei "fies" von ihm gewesen, zeigt er sich mittlerweile einsichtig. Also setzte man auch ihn vors Klavier. Er studierte später an der Royal Academy of Music in London. Den amerikanischen Pianisten Leon Fleisher nennt er seinen Mentor. Fleishers Ton, Energie, Spontaneität und Wissen bezeichnet er als "unglaublich".
Pianisten der Vergangenheit, die er gerne hört, sind Arthur Schnabel - vor allem wegen dessen Zugangs zur Musik - und "natürlich", sagt er, Radu Lupu, der so musizieren konnte, dass alles im Fluss war - "völliges Aufgehen in der Musik, und jeder Takt beseelt." Früh schon war Inon Barnatan bewusst, dass Technik und Ausdruck nicht zu trennen sind.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Leonard Bernstein/1918 - 1990
Titel: Ouvertüre zu dem Musical "Candide"
Orchester: Minnesota Orchestra
Leitung: Osmo Vänskä
Länge: 04:30 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: George Gershwin/1898 - 1937
Titel: Concerto in F-Dur
* Allegro - 1.Satz
* Adagio, Andante con moto - 2.Satz
* Allegro agitato - 3.Satz
Solist/Solistin: Inon Barnatan / Klavier
Orchester: Minnesota Orchestra
Leitung: Osmo Vänskä
Länge: 34:00 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Charles Ives/1874 - 1954
Titel: Symphonie Nr.2
* Andante moderato - 1.Satz; Allegro - 2.Satz
* Adagio cantabile - 3.Satz
* Lento maestoso - 4.Satz; Allegro molto vivace - 5.Satz
Orchester: Minnesota Orchestra
Leitung: Osmo Vänskä
Länge: 41:05 min
Label: EBU

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