Gedanken für den Tag

Martin Schenk über Alltagsgeschichten

"Hoffnungsträger: Ich bin meine Geschichte". Es muss nicht sein, dass die vielen leisen Stimmen ungehört bleiben und ihre scheinbar banalen Lebensläufe missachtet werden, meint Martin Schenk, Sozialexperte der evangelischen Hilfsorganisation Diakonie und Blues-Fan. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Der Blues, sich zu behaupten

An der nördlichen Spitze von Madagaskar errichteten Freibeuter eine Siedlung, in der sie ihre Schätze teilten und als Gleiche verschiedentlich miteinander lebten. Das alles ein Jahrhundert vor der französischen Revolution. Die Siedlung nannte sich Libertatia. Nach 25 Jahren wurde das Experiment von einer Schiffsflotte aus Europa zerstört. So wird es berichtet. Ob es allerdings wirklich so war, weiß niemand. Ob es Libertatia wirklich gab, wer weiß?

Die Musiker von Ja, Panik haben Libertatia ein Album gewidmet. "Ich wünsch mich dahin zurück, wo's nach vorne geht", heißt es im Titelsong. Ein Ort, an dem es anders geht. Wobei der Fortschritt hier im Zurückschauen liegt. Darauf weist auch die Vorsilbe "Re" bei Revolution, Reform, Reformation oder Renaissance hin. Der Nicht-Ort, die Utopie, kann überall sein und sagt: Anderes ist möglich.

Utopische Gedanken leben ja alle bis zu einem gewissen Grad von ihrer Uneinlösbarkeit. Alltagsmäßig muss man sich trotzdem in einer Welt einrichten, die den Ansprüchen an ihren Idealzustand nie genügen wird. Zum Glück, könnte man auch sagen: Denn wer das vollständig Ganze der anderen Welt anvisiert, gerät leicht in das Totalitäre der Utopie, kippt ins Autoritäre. Wieviel Unrecht wurde im Namen des Guten verbrochen. Auch nicht wirklich hilfreich sind die Herolde der trügerischen Hoffnungen, die Kränkung und Leid nicht ernst nehmen.

Bei Libertatia hingegen geht es um "etwas Gemeinschaftsstiftendes, das in dunklen Momenten entsteht - ganz in der Gospel-Tradition", sagt Andreas Spechtl von Ja, Panik. Den Entschluss, sich zu behaupten. Ein Statement sowohl gegen den Weltverbesserungskitsch als auch gegen das Aufgeben. Da ist was dran. Nicht zufällig war Gospel, Blues und Soul kultureller Ausdruck der Bürgerrechtsbewegung. Der Blues spricht etwas Dynamisches an, das nicht Trost spendet, sondern die Kraft weiterzumachen. Das ist keine Vertröstung auf irgendwann. Das gelobte Land ist zwar fern, aber jetzt auch schon da. Da, wenn man kämpft. Und da, wenn man sich nicht gefallen lässt, dass das, was ist, schon alles ist.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Ja, Panik
Komponist/Komponistin: Andreas Spechtl
Titel: Libertatia
Album: Libertatia
Ausführende: Ja, Panik
Länge: 03:03 min
Label: Staatsakt / RTD LC 15105

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