Oliver Tanzer

LUKAS BECK

Gedanken für den Tag

Oliver Tanzer über das Geben

"Die Mathematik der Güte". Warum die Gabe eines der besten Modelle nachhaltigen Wachstums ist, erklärt Oliver Tanzer, Wirtschaftsjournalist und Buchautor. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Das Neue Testament ist ein wahrhaft revolutionärer Text, wenn man ihn nicht nur so vor sich herbetet, weil irgendjemand einem beigebracht hat, es her- und nachzubeten. Man sollte ihn einmal gleichsam entheiligt lesen und sich nur auf jene Bedeutung konzentrieren, die das alles heute haben könnte. Man würde bald sehen: Die Welt würde sich umdrehen quasi. Und zwar schon durch die kleinsten Taten, etwa Gaben.

So wird uns ja von früh an gelehrt, wir könnten stolz sein, wenn wir gut sind und Gutes tun. Es gibt sogar eine alte Wirtschaftskapitänsweisheit, die da sagt: "Tue Gutes und rede darüber." Aber das scheint dieser Jesus von Nazareth verwirrenderweise gar nicht zu wollen. Er sagt: "Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan."

Derjenige, der anderen gibt und Gutes tut, soll sich, so scheint es, danach nicht besser fühlen. Er soll sich nicht erhöhen und sich nicht einmal inwändig lobend tätscheln, im Sinn, jetzt kann ich aber stolz auf mich sein, denn ich habe gut gehandelt. Und tatsächlich ist diese Forderung unerhört, weshalb sie auch unerhört geblieben ist.

Wenn dieser Auftrag ernst genommen würde, müssten die gesellschaftlichen Wertungen aufgegeben werden, die den Wohltäter über den Beschenkten stellen und die Zivilisation in Reich und Arm, Wertvoll und Minderwertig teilen und letztlich in Gut und Böse.

Es wäre nicht mehr das wichtig, was man gibt und nicht einmal wichtig, wer gibt. Auch das Geschenk selbst, als Gegenstand und Materie, würde in den Hintergrund treten vor dem Akt der Gabe als Normalität. Und diese Normalität hieße bloß: Sich in Beziehung setzen mit jemandem, ohne zu werten. Man könnte geben und nehmen mit Freude und ohne schlechtes oder gutes Gewissen, ohne Erwartungen. Die Gabe wäre nicht mehr der Rede wert, schon gar nicht im Radio, in der Früh, kurz vor sieben.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: John Turner Layton/1894 - 1978
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Henry Creamer/1879 - 1930
Album: SIMON RATTLE: THE JAZZ ALBUM
Titel: After you've gone
Solist/Solistin: Jeremy Taylor /Tenor
Orchester: London Sinfonietta
Leitung: Simon Rattle
Länge: 03:18 min
Label: EMI 7479912

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