Eine Gruppe von Menschen, bunt angezogen

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Radiokolleg

Radiokolleg - Gruppen machen Menschen

Von der Urhorde zur Whatsapp Group (4). Gestaltung: Christian Schüller

Selbstbestimmung und Individualität gelten als wichtige Errungenschaften der westlichen Gesellschaft. Doch wie unabhängig sind wir voneinander wirklich? Psychologie, Verhaltensforschung und Biologie haben längst gezeigt, dass vor dem Ich das Wir kommt. Es sind Rollen, die unser Verhalten bestimmen - ob im Kindergarten, am Arbeitsplatz oder in sozialen Medien. Wie funktionieren Gruppen, zu denen wir freiwillig oder unfreiwillig gehören? Was machen sie mit uns? Und was können wir mit Gruppen machen?

Die Gruppe als Therapeutin
Seit den 1930er und 40er Jahren wissen Soziologen und Psychologen, dass Gruppen wie ein Spiegelsaal wirken: was der oder die Einzelne in einer Gruppe tut oder fühlt, spiegelt sich immer bei den Anderen. Oft ist uns gar nicht bewusst, dass wir aussprechen, was die Gruppe durch uns zum Ausdruck bringen will. Das ist nur eine der verblüffenden Auswirkungen der Gruppendynamik.

Weil Menschen in einer Gruppe oft ähnliche Konflikte erleben wie in der Familie oder am Arbeitsplatz, eignen sich Gruppen gut für Psychotherapie. Wir haben uns sehr unterschiedliche Methoden angesehen, vom Psychodrama über die systemische Aufstellung bis zur Gruppenanalyse. Gemeinsam haben sie, dass Patient/innen lernen müssen, auch auf andere Gruppenteilnehmer/innen einzugehen.

Gehirnforscher haben inzwischen bestätigt, was Kinder-Psychotherapeuten aus der Praxis wissen: Auch unsere Fähigkeit zu denken ist von Beziehungen abhängig, und damit auch von den Gruppen, in denen wir aufwachsen. Deshalb können auch im späteren Leben Beziehungsstress und Verlustangst zu Denkblockaden führen.

Neben Therapiegruppen haben auch Selbsthilfegruppen großen Zulauf: Alkoholkranke, Trauernde, Schüchterne, Schwerhörige oder Menschen, die mit ihrer sexuellen Ausrichtung Probleme haben, suchen die Gesellschaft Anderer, die Ähnliches erleben und sich in sie hineindenken können. Seit kurzem gibt es auch Gruppen für Internet- Süchtige. Wer es also schwer findet, eine reale Gruppe in der nicht-virtuellen Welt zu ertragen, kann sich mit Menschen treffen, denen es genau so geht.

Service

LITERATUR:

DEUTSCH:

Bion, Wilfred: Erfahrungen in Gruppen. Klett-Cotta 2018

Elias, Norbert: Die Gesellschaft der Individuen. Suhrkamp 2001

Felsberger, Helga: Mentalisieren in Gruppen. Klett-Cotta 2016

Foulkes, H.S.: Gruppenanalytische Psychotherapie. Westarp 2017

Graf, Beatriz: Longo Mai - Revolte und Utopie nach 68. Thesis 2005

König, Oliver: Einführung in die Gruppendynamik. Carl-Auer 2018

Roth, Wolfgang Martin: Gruppenanalyse und die Entwicklung der Intersubjektivität. Facultas 2015

Sachs, Gabriele: Psychodynamische Gruppentherapie. 2018

Stahl, Eberhard: Dynamik in Gruppen. Handbuch der Gruppenleitung. Beltz 2017

Wilson, E.O.: Die soziale Eroberung der Erde. H.C. Beck 2016

Yalom, Irvin: Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie. Klett-Cotta 2019


ENGLISCH:

Dalal, Farhad: Taking the group seriously. Kingsley 1998

Nitsun, Morris: The Anti-Group. Ritledge 2014

Stacey, Ralph: Complex Responsive Processes in Organizations. Routledge 2003

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