ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Radiokolleg - Das Lied, das klebt
Eine kleine Typologie des Ohrwurms (1). Gestaltung: Thomas Mießgang
16. September 2019, 09:45
Es gibt diese Lieder, die sich im Gehörgang und im Gehirn einnisten, und nicht mehr daraus zu vertreiben sind, ganz egal, was man unternimmt. Im Deutschen sagt man Ohrwurm dazu, im Englischen analog Earworm, das Spanische hingegen wählt die umschreibende Bezeichnung Melodia pegadiza - eine Melodie, die klebt. Der deutsche Begriff für das insistente Lied, das nicht mehr weichen möchte, leitet sich übrigens von den gleichnamigen Insekten ab, die nach volkstümlicher Vorstellung gerne in die Ohren kriechen. Lateinisch heißt der gemeine Ohrwurm Forficula auricularia.
Woran liegt es nun, dass eine Tonfolge das Bewusstsein infiltriert und infiziert wie ein böses Virus? Die Gedächtnisforschung hat festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit des "Einschaltens", also der Wiedererinnerung und der Festsetzung eines Ohrwurms dann am größten ist, wenn das Arbeitsgedächtnis wenig ausgelastet ist, zum Beispiel bei Routine-Arbeiten, Autofahren oder Spazierengehen. Ohrwürmer können dann freie Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses besetzen und sich dort festsetzen. Am besten, heißt es in neurophysiologischer Fachliteratur, sind sie durch erhöhte andere Anforderungen aus dem Arbeitsgedächtnis zu vertreiben. Es empfiehlt sich also, wenn sich ein Lied festgeklebt hat, beispielsweise zur "Phänomenologie des Geistes" von Hegel zu greifen - damit ist eine umfassende Auslastung des Arbeitsgedächtnisses garantiert.
Der Musikwissenschaftler Jan Hemming ist der Auffassung, dass ein Ohrwurm unbewusst und unwillkürlich aus der Erinnerung hervortrete und subjektiver Natur sei: "Ohrwürmer sind eine emotionale Angelegenheit und treten vor allem bei Musikstücken auf, denen man entweder sehr positiv oder sehr negativ gegenübersteht."
Es gibt aber auch pathologische Formen des Ohrwurms wie die Krankheit Tinnitus, die man, unmedizinisch formuliert, als Dauergeräusch im Ohr bezeichnen könnte. Es handelt sich dabei um eine verstärkte Aktivität der Neurone in der Hirnrinde, die, so legen es neuere Studien nahe, in der lärmverschmutzten Gegenwart eher zunimmt.
Ohrwürmer sind aber nicht nur lästig, sondern durchaus auch erwünschte Phänomene, die auf unterschiedliche Weise kommerziell und kommunikativ genutzt werden können: Die ganze Jingle- und Signation-Industrie basiert auf kleinen wiedererkennbaren Klangpartikeln und im Signalraum Stadt ist zu beobachten, dass, etwa bei Verkehrsleitsystemen, die einstige Dominanz des Visuellen zunehmend von akustischen Impulsen herausgefordert wird.
Von welcher Perspektive man das Phänomen aber auch betrachtet - der Ohrwurm ist ein vielgestaltiges, und, sowohl im Positiven wie im Negativen, nachhaltiges Phänomen. Warum, das beschreibt die Popgruppe Wise Guys knapp und bündig in einer Textzeile: "Weil ich in deinen Ohren steck und ich geh hier nie mehr weg."
Service
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Sendereihe
Gestaltung
- Thomas Mießgang
Playlist
Komponist/Komponistin: Lennon McCartney
Titel: Yellow Submarine
I: The Beatles
Label: Apple Records PCS7070
Komponist/Komponistin: Ennio Morricone
Titel: L'Uomo dell'Armonica
Leitung: Ennio Morricone
Chor: "I Cantori Moderni" Di Alessandroni
Solist/Solistin: Franco De Gemini
Länge: 03:23 min
Label: Ariola 80425
Komponist/Komponistin: Rota
Titel: Der Pate. Main Title
I: Carmine Coppola
Label: Metronome SMLP 048
Komponist/Komponistin: Park Jai-Sang
Titel: Gangnam Style
I: Psy
Label: Universal Republic Records 602537203185
Komponist/Komponistin: Charles Manson
Titel: I`ll never say never to always
I: Charles Manson
Label: Awareness Records 2144
Komponist/Komponistin: Gábor Sipeki
Titel: Wannabe
I: Spice Girls
Label: Virgin VSCDT 1588