Ein Mann spaziert in Moldawien

ORF/ROMAN TSCHIEDL

Gedanken für den Tag

Cornelius Hell über die Republik Moldau

"Zwischen Pruth und Dnister". Reiseeindrücke von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. Gestaltung: Alexandra Mantler

Man verliert viel, wenn man sich einem Land nicht langsam annähert, sondern einfach am Flughafen ankommt. Das wird mir auf dem Weg von der nordostrumänischen Stadt Iasi in die moldawische Hauptstad Chisinau bewusst. Ich sitze in einem Mikroautobus, er braucht über fünf Stunden für die 120 Kilometer.

Meine Mitreisenden sind hauptsächlich Studentinnen und Studenten aus der Republik Moldau, die an der Universität Iasi studieren. Sie hören Musik von neuen Handys, haben ihren Laptop dabei und sind gut gekleidet. Woher haben sie das Geld dafür, frage ich mich und verfalle schon fast in den billigen Klischee-Schluss: So arm kann das Land ja nicht sein, wenn sich Studenten das leisten können. Erst später erfahre ich: Mindestens ein Viertel der Bevölkerung arbeitet im Ausland, Padua gilt mittlerweile als drittgrößte rumänische Stadt. Jede Familie, die einigermaßen über die Runden kommt, hat jemanden im Ausland. Aus diesen Quellen sind auch diese Laptops und Handys finanziert.

Die Leiden, die diese Arbeitsemigration verursacht, sind enorm: An die 100.000 Kinder wachsen in Moldawien ohne ihre Eltern auf, weil diese im Ausland arbeiten. Aber viele sehen keinen anderen Ausweg, weil es im Land wenig Arbeit gibt, von der man leben kann. Ich schäme mich, dass auch ich glaubte, Armut müsse auf den ersten Blick sichtbar sein und sich quasi ausweisen, damit sie glaubhaft ist; und dass ich Menschen infrage gestellt habe, deren bisschen Wohlstand aus solchen Entbehrungen stammt.

Nach langem erlebe ich wieder die Kontrollen an einer EU-Außengrenze. Als wir sie passiert haben, küssen und umarmen sich die Studenten. Ich möchte gerne wissen, wovor sie Angst hatten oder was sie schmuggeln, aber ich bin der einzige Fremde in diesem kleinen Bus und kann sie nicht fragen. Und bin neugierig und aufgeregt, weil ich nach langer Zeit wieder in ein Land fahre, das mir ganz neu und unbekannt ist. In das bange Warten, was die nächsten Tage bringen werden, mischt sich die Freude, dem organisierten Tourismus entkommen zu sein und ganz auf mich gestellt mit offenen Augen Chisinau und seine Menschen zu erkunden.

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

  • Nebenan: Moldau

Playlist

Komponist/Komponistin: Traditional
Bearbeiter/Bearbeiterin: Francois Lilienfeld /Arrangement
Album: SIMCHES UN ZURES
Titel: Bessarabianka/instr.
Anderssprachiger Titel: Freuden und Sorgen
Solist/Solistin: Francois Lilienfeld /Akkordeon, Gitarre m.Begl.
Ausführender/Ausführende: Andrea Sechser /Violoncello
Ausführender/Ausführende: Evelyne Emch /Flöte
Ausführender/Ausführende: Andrea Spörri /Violine
Ausführender/Ausführende: Mischa Gerber /Violine
Länge: 03:00 min
Label: Swiss Pan 510516 < Koch >

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