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Radiokolleg - Zu schön um wahr zu sein?

Das Verhältnis von Wissenschaft und Ästhetik (1). Gestaltung: Peter Zimmermann

Wer hätte sich das gedacht! Die scheinbar nüchternen, auf Zahlen und Fakten beruhenden Wissenschaften wie Physik, Chemie oder Mathematik, lassen sich auf der Suche nach Erkenntnis von ästhetischen Kriterien leiten, von Schönheit, von Ordnung, kurzum: von schwer objektivierbaren Erscheinungen.

In der theoretischen Physik, sagt die Physikerin Sabine Hossenfelder, benützen Wissenschafter ihr persönliches Schönheitsempfinden für die Entwicklung von Theorien. Dass dabei wenig herauskommt, scheint diese Wissenschafter nicht zu stören.

Was auf den ersten Blick abenteuerlich anmutet, ist aber nicht so abwegig. Denn erstens sind "schöne" Theorien oder Forschungsergebnisse leichter zu vermitteln. Zweitens - das muss evolutionsbiologisch geklärt werden - fühlen sich Menschen in einem schönen, geordneten System wohler als im Chaos. Und drittens sagen viele Wissenschafter, dass auf dem unberechenbaren Weg zur Erkenntnis das Schöne nicht unbedingt falsch sein muss. Ebenso wie das Unschöne richtig.

Die Welt als Kunstwerk betrachtet, ist eine alte Vorstellung. Das für die Menschheit begrenzt erforschbare Weltall war immer auch ein Projektionsraum für die Wissenschaft. Die Theoriebildung war da eng verflochten mit Vorstellungen, die aus der Kunst oder der Religion kamen. Aus dem Wunsch nach Harmonie entstand eine Vorstellung von Welt. Insofern sind unwissenschaftliche und interdisziplinäre Diskurse für die wissenschaftliche Begriffsbildung und Vorstellungskraft doch nicht so abenteuerlich, wie anfangs vermutet. Schließlich bedeutet Wissenschaft auch Systematisierung und Ordnung - das heißt: die Ästhetisierung des Chaos. Die Einbeziehung des Schönheitssinns ist durchaus legitim in der wissenschaftlichen Theoriebildung, meint der Philosoph Olaf Müller. Und die Physik sähe ganz anders aus, hätten sich die Wissenschafter dagegen verwehrt, das Schöne mitunter vor das Wahre zu stellen.

Im Umkehrschluss ist auch zu fragen, inwieweit diese Praxis auf die Künste zurückgewirkt hat. Im 18. und 19. Jahrhundert waren z.B. Dichtung, Naturanschauung und Forschung eng miteinander verbunden. Goethe, Novalis, die Romantiker einerseits, aber auch Forscher wie Newton, Humboldt, Darwin, Ernst Haeckel haben ästhetische und wissenschaftliche Modelle ineinandergeschoben, um ihrer jeweiligen Disziplin neue Perspektiven zu eröffnen.

Service

LITERATUR:

Sabine Hossenfelder: "Das hässliche Universum. Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt", S. Fischer Verlag 2018

Olaf L. Müller: "Zu schön, um falsch zu sein. Über die Ästhetik in der Naturwissenschaft", S. Fischer Verlag 2019

Ingo Nussbaumer: "Zur Farbenlehre. Entdeckung der unordentlichen Spektren", Edition Splitter 2008

Ingo Nussbaumer: "Rücknahme und Eingriff. Malerei der Anordnungen", Verlag für moderne Kunst 2010

Michael Pilz: "Tanz der Elemente. Über die Schönheit des Periodensystems", Residenz Verlag 2019

Elmar Schenkel: "Keplers Dämon: Begegnungen zwischen Literatur, Traum und Wissenschaft", S. Fischer 2016

Rudolf Taschner: "Die Farben der Quadratzahlen. Kleine Anleitung zum mathematischen Staunen", Hanser Verlag 2019


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Sendereihe

Gestaltung

  • Peter Zimmermann