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Radiogeschichten
Ein unentschlossener Zeitgenosse
"Herr Wolf erwartet Gäste (... und bereitet für sie ein Essen vor)". Von Christa Wolf. Es liest Michou Friesz.
7. Jänner 2020, 11:05
Ironische Alltagsbeobachtungen gehören durchaus zum Repertoire der deutschen Autorin Christa Wolf - zumeist bringt sie sie allerdings in großen Romanen unter und nicht, wie hier, in einer Kurzgeschichte.
Der "Herr Wolf" (der sich also gar nicht bemüht, seine Identität zu verbergen, dazu hätte er jetzt auch gar nicht den Kopf, da er doch Gäste erwartet und sie bekochen will, und das ist selbstverständlich etwas anderes als wenn etwa Frau Wolf irgendjemandem Dahergekommenem irgendein Essen auftischt!) - der "Herr Wolf" ist vermutlich auch deshalb in einer Kurzgeschichte gelandet, weil ihm das Zeug zur wirklichen Romanfigur einfach fehlt: dazu ist er zu schusslig und unentschlossen, kann sich nicht zwischen Hirschfilet und Flusskrebsen entscheiden und bemerkt nicht einmal die lächelnden Regieanweisungen der Frau Wolf, die den dramatischen Ablauf - in dem natürlich so gut wie nichts weitergeht - wenigstens zu gliedern versucht.
Christa Wolf, in Gorzów Wielkopolski (dazumal Landsberg an der Warthe) geboren, hat ihre große schriftstellerische Karriere in der vormaligen DDR gemacht - was ihr, zusammen mit ihrer besonders starken "autobiografischen Ader", ihrer Neigung zur Selbstreflexion und zu sorgfältigem Abwägen moralischer Argumente, in den letzten Jahren etliche politische Kritik eingetragen hat. Die kleine Geschichte von den Versuchen Herrn Wolfs in Sachen Häuslichkeit schrieb sie nach dem Ende der DDR und einem längeren Studienaufenthalt in Kalifornien, der sich, unter anderem, in einer ganzen Reihe von Short Stories zur Psychologie der tagtäglichen Befindlichkeit niederschlug. Sie erschien erstmals 2003 in dem kleinen Berliner Verlag, den Frau und Herr Wolf 1990 zusammen gegründet haben ...
Gestaltung: Roland Knie. Präsentation: Nicole Dietrich.
Service
Aus: Christa Wolf, "Mit anderem Blick". Suhrkamp Verlag, 2005
