BÜRO BRAUNER
Radiokolleg - Reich an Möglichkeiten
Der Wert sozialer Kapitalien (4). Gestaltung: Margarethe Engelhardt-Krajanek
7. Mai 2020, 09:05
Die Corona-Krise stellt das gesellschaftliche Zusammenleben auf den Prüfstand. Der Soziologe Ulrich Bauer aus Bielefeld schreibt die Ruhe und Gelassenheit, mit der Menschen Ausgangsbeschränkungen, Quarantäne, Arbeitsbeschränkungen hinnehmen, ihrem ethischen Empfinden zu. Er spricht von einem kollektiven Gedächtnis, das Menschen heute dazu veranlasst, solidarisch zu handeln. Der Schutz gesundheitlich und sozial schwacher Gruppen wird von der Bevölkerung eingefordert und setzt auch die Politik unter Zugzwang.
Markantes Beispiel ist die Trendwende im britischen Krisenmanagement. Der Plan, Covid19 zu ignorieren, wurde von der Bevölkerung nicht akzeptiert. Wird die Welt nach der Corona-Krise die gleiche sein, wie zuvor? Welche Strukturveränderungen könnten sich abzeichnen? Was macht ein geglücktes gesellschaftliches Zusammenleben aus? Der Soziologe Pierre Bourdieu erkennt, dass die Möglichkeiten des einzelnen, der einzelnen nicht nur verknüpft sind mit Herkunft und Besitz, sondern auch mit den sozialen Netzwerken, in den damit verbundenen Unterstützungsleistungen.
Die Initiative "Achtsamer 8" in Wien setzt diesen Gedanken um und fördert Nachbarschaftshilfe und Demenzbetreuung im Grätzel. Soziales Kapital bedeutet auch, erworbenes Wissen umzusetzen und in einen anderen Kontext zu transformieren. Dafür braucht es Bildungskonzepte, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch die sozialen Kompetenzen der Schüler stärken. Die Initiative Cool hat ein Netzwerk von Schulen und Lehrern aufgebaut, in dem kooperatives offenes Lernen erfolgreich praktiziert wird und sich gerade in Krisenzeiten bewährt.
Sinnvolle Sozialarbeit und gesellschaftliches Engagement bedeuten für Bourdieu, Netzwerke aufzubauen, in denen Menschen ihre Zielsetzungen verwirklichen können. Der Wirtschaftswissenschafter Amartya Sen wiederum setzt auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen. Mit seinem Begriff der Entwicklungsökonomie will er nachhaltige Wirtschaftssysteme implementieren. Deren Qualität ist es, Verwirklichungschancen zu bieten. Ein Konzept, das auch den Wiederaufbau nach der Krise unter menschenwürdigen Bedingungen ermöglicht.
Denn reich an Möglichkeiten sind Menschen nur dann, wenn sie sozial eingebunden sind und Zugang zur Bildung und dem Gesundheitssystem haben. Digitale Medien liefern ein Instrumentarium, den Informations- und Wissenstransfer rasch und unkompliziert zu gewährleisten. In der Corona-Krise ermöglichen sie E-Learning und Homeoffice. Auch die Organisation von Hilfsgütern hängt von elektronischen Netzwerken ab. Doch auch die Digitalisierung fordert Spielregeln ein.
Der Philosophen Julian Nida-Rümelin plädiert für eine digitale Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger, die humanistische Werte in den Kontext technischer Machbarkeit bewusst einbringt. Dieser Diskurs stärkt nicht nur die freie Entfaltung des Einzelnen, sondern wird auch zu einem Baustein der demokratischen Gesellschaft.
Service
Literatur:
Amartya Sen, Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft
(DTV 2002).
Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft
(suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1987).
Ulrich Bauer, Sozialisation und Ungleichheit.
Eine Hinführung (Springer Verlag 2012).
Julian Nida-Rümelin, Digitaler Humanismus
(Sachbuch Piper 2018).
Julian Nida-Rümelin, Humanismus als Leitkultur
(C.H.Beck 2015).
Links:
Eurofund
Achtsamer 8.
JUNO - Zentrum Wien
COOL-Community
Scholars at Risk
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