ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Gedanken für den Tag
Michael Bünker über Walter Benjamin
"Der Engel der Geschichte". Anlässlich von Walter Benjamins 80. Todestag erinnert der evangelische Theologe und emeritierte Bischof Michael Bünker an den Philosophen, dessen Einfluss auf die moderne Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts enorm war
26. September 2020, 06:56
Einen Tag, bevor die deutsche Wehrmacht in Paris einmarschierte, floh Walter Benjamin von dort. Er wusste, sein Leben ist bedroht. Sein Bruder Georg war seit 1933 im KZ, 1942 wurde er in Mauthausen ermordet. Walters Flucht führte letztlich an die französisch-spanische Grenze. Seine Freunde, die bereits in die USA gelangt waren, hatten ihm die notwendigen Papiere verschafft und erwarteten ihn.
Walter Benjamin musste gemeinsam mit anderen zu Fuß über die Berge, um nach Portbou an der spanischen Grenze zu kommen. Als sie dort ankamen wurde ihnen mitgeteilt, dass Spanien die Grenze geschlossen hatte. Benjamin war verzweifelt. Einer Fluchtgefährtin übergab er eine kurze Notiz: "In einer ausweglosen Lage habe ich keine andere Wahl, als Schluss zu machen. Mein Leben wird in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen enden, wo mich niemand kennt." In der folgenden Nacht nimmt er sich das Leben. Der Totenschein ist auf den 26. September 1940 datiert. Bertolt Brecht schrieb zu Benjamins Tod ein Gedicht, in dem es heißt: "So liegt die Zukunft im Finstern, und die guten Kräfte sind schwach. All das sahst du, als du den quälbaren Leib zerstörtest."
So endete das Leben eines der wichtigsten Denker des 20. Jahrhunderts. Er war ein entscheidender Impulsgebers der späteren "Frankfurter Schule", ein unorthodoxer messianischer Marxist, ein Wachrüttler. Ihm ging es um das Erwachen, also um diese besondere Schwellenerfahrung, wo einem die Augen aufgehen. Wenn eine "Woge des Erwachens" die Gesellschaft erfasst, dann wird sie sich ändern. Aber solange das noch nicht der Fall ist, heißt es mit der Widersprüchlichkeit fertig zu werden, in der die Menschen leben.
Bei Walter Benjamin gibt es keine einfachen Lösungen, und schon gar nicht einen blinden Optimismus. Er lebte in Extremen und dachte in Extremen. Die Wahrheit liegt nicht irgendwo dazwischen, sondern sie hat beide Seiten im Blick. Auf seinem Grabstein steht ein Zitat von ihm: "Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein." Was kann ich daraus lernen? Dass es in den Widersprüchen darauf ankommt, eine Stellung zu haben.
Service
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Sendereihe
Gestaltung
Übersicht
Playlist
Komponist/Komponistin: Laurie Anderson
Gesamttitel: LANDFALL
Titel: Gongs and bells sing/instr.
Solist/Solistin: Laurie Anderson /Keyboard, Violine, Samples, Perc., Filters
Ausführende: Kronos Quartet
Ausführender/Ausführende: David Harrington /Violine
Ausführender/Ausführende: John Sherba /Violine
Ausführender/Ausführende: Hank Dutt /Viola
Ausführender/Ausführende: Sunny Yang /Violoncello
Länge: 02:33 min
Label: Warner/Nonesuch Rec. 755979338