CARITAS
Radiokolleg - Evakuiert, aufgepäppelt, indoktriniert
Die verschiedenen Facetten der Kinderlandverschickungen (1). Gestaltung: Ute Maurnböck
27. Oktober 2020, 09:05
Kinder sollten eine Auszeit bekommen: von Krieg, Hunger, Gräuel und Trostlosigkeit. Schon nach dem 1. Weltkrieg gab es Initiativen für Kinderlandverschickungen, vor allem Schweden zeigte sich als großzügiges Gastgeberland.
Während des 2. Weltkriegs ermöglichte die sogenannte erweiterte Kinderlandverschickung über zwei Millionen Kindern bzw. auch ganzen Schulklassen des Deutschen Reichs Wochen oder gar Monate bei Gasteltern oder in Gasthäusern zu verbringen. Österreichische Kinder blieben von der Möglichkeit, vor Bomben, Hunger und Mangelerkrankungen bewahrt zu werden, bis 1943 ausgespart.
Für die Organisation der "Unterbringungsaktion", ein Euphemismus für den Begriff "Evakuierung", zeichnete die Hitlerjugend verantwortlich. Kinder, die als "asozial" galten, konnten an den Lagern genauso wenig teilnehmen wie solche, die zum Beispiel an Epilepsie litten oder chronische Bettnässer waren. Beim Aufenthalt in den ländlichen Gemeinden standen strenger Gehorsam und Ordnung im Vordergrund. Geländespiele, marschieren und Fahnenappelle gehörten dazu.
Viele Kinder kamen auch in Pflegefamilien unter oder wurden bei Verwandten untergebracht.
Die meisten Unterlagen zu den Kinderlandverschickungen wurden zu Kriegsende vernichtet, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen schilderten ihren Aufenthalt sehr unterschiedlich: einerseits als glückliche Zeit, die sie unbeschwert mit Gleichaltrigen verbringen konnten, andererseits als eine Zeit des Schreckens, in der sie gehänselt wurden und an Heimweh litten.
In den Straßennamen Wiens ist die Kinderhilfe bis heute abzulesen: Die Holland- und die Dänenstraße, der Schwedenplatz und der Schweizergarten erinnern daran.
Nach dem 2. Weltkrieg - In den Jahren 1947 bis 1958 - brachte die Caritas 37.000 Kinder zum Aufpäppeln ins europäische Ausland. Da gab es etwa die Spanienkinder, die zu Gastfamilien ins diktatorisch geführte Spanien gebracht wurden oder andere, die in die Schweiz, nach Holland oder Schweden kamen.
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LITERATUR:
Gerhard Dabel: KLV. Die erweiterte Kinder-Land-Verschickung. KLV-Lager 1940-1945. Über den "Größten Soziologischen Versuch aller Zeiten". Verlag Schillinger 1981
Helmut Engelbrecht: Wien und die sogenannte Kinderlandverschickung. In: Ferdinand Oppl und Karl Fischer (Hg.), Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien (Band 57/58). Wien 2002
Markus Holzweber: Erholung inmitten des Krieges im Jahre 1941. Erinnerungen eines Großstadtkindes aus Hannover an den Aufenthalt in Langschlag im Rahmen der Kinderlandverschickung (KLV). In: Das Waldviertel. Zeitschrift für Heimat- und Regionalkunde des Waldviertels und der Wachau (2009)
Markus Holzweber: Dürfen wir ihre Kinder verschicken? Die Erweiterte Kinderlandverschickung (KLV) in Niederösterreich. Darstellung, Rezeption und Widerhall in der NS-Zeit und Zweiten Republik. In: Verein für Landeskund von Niederösterreich (Hg.), Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich (St. Pölten 2013)
Susanne Knudsen: Wiener Kinder. Kindheit im Schatten des Krieges. Verlag Historia 2014
Gerhard Kock: Der Führer sorgt für unsere Kinder. Die Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg. Verlag Schöningh 1997
Christine Maisel-Schulz: Kinderlandverschickungen österreichischer Kinder nach Spanien in den Mangeljahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Dissertation, Wien 2010
Anton Partl/Walter Pohl: Verschickt in die Schweiz. Kriegskinder entdecken eine bessere Welt. Verlag Böhlau 2005
Renate Schreiber: Es geschah in Wien. Erinnerungen von Elsa Björkman-Goldschmidt. Verlag Böhlau 2007
Veronika Siegmund: Heraus mit Bleistiften und Tuschkästen. Masterarbeit Universität Wien 2017
Ellen Soubeyrand: Lagerzeit. Die Kinderlandverschickung, wie ich sie erlebte. Verlag Neue Literatur 2011
LINKS:
Institut für Wissenschaftsgeschichte der Universität Wien
"Heraus mit Bleistiften und Tuschkästen ...", Masterarbeit Universität Wien