Zwischenruf

Ingrid Bachler über das Innehalten

Am Beispiel des deutschen Buß- und Bettages erläutert Ingrid Bachler, evangelisch-lutherische Oberkirchenrätin in Österreich, die Wichtigkeit von Pausen zum Nachdenken

Es gibt Dinge, die ändern sich nie, auch wenn man dem Kindesalter entwächst, wenn man groß und scheinbar klüger geworden ist. Dazu gehört, die eigenen Fehler einzugestehen, um Entschuldigung zu bitten und umgekehrt eine Entschuldigung anzunehmen - das fällt vielen oft schwer.

Den Erfolg schreibt sich jeder gerne auf seine Fahnen. Aber wenn eine Sache gründlich schiefgeht, will es keiner gewesen sein. In drei Tagen, am 18. November, wird in den evangelischen Kirchen in Deutschland wieder der sogenannte Buß- und Bettag begangen. Der Tag klingt nach gesenktem Kopf und Trübsal. Aber der Buß- und Bettag macht vor allem möglich, mit der eigenen Schuld so umzugehen, dass ein neuer Anfang möglich wird. Er nimmt dieses Thema der persönlichen Erfolge und Misserfolge auf.

Es ist ein Feiertag der Evangelischen Kirche, der auf Notzeiten wie Kriege und Seuchen zurückgeht. Im Lauf der Geschichte wurden solche Buß- und Bettage immer wieder aus aktuellem Anlass angesetzt. Angesichts von Not und Gefahr wurde die Bevölkerung zu Umkehr und Gebet aufgerufen. In allen religiösen Traditionen gehören Buße und Sühne zum gelebten Alltag, allerdings in verschiedenen Ausprägungen. Gemeinsame Bußzeiten sind schon in der Antike bezeugt.

Im Mittelalter hielt man in besonderen Notfällen oder bei drohenden Katastrophen so genannte Sühnetage ab, was auch mehrmals im Laufe eines Jahres der Fall sein konnte. Die protestantischen Kirchen nahmen diese Tradition als Tage der Besinnung und Neuorientierung im Kirchenjahr auf.

Wenn es den Buß- und Bettag nicht schon gäbe, dann müsste man ihn erfinden. Denn hinter dem auf den ersten Blick altmodischen Namen steht etwas sehr Kostbares. Für mich jedenfalls ist es ein kostbarer Tag. Er erinnert an die Möglichkeit zum Innehalten, zum Nachdenken und zum selbstkritischen Blick auf mich selbst.

Ich denke, dass eine Pandemie und die Tage im Lockdown, aber auch der Schrecken des Terrors gute Gründe sind, innezuhalten, eine Pause zu machen, zu reflektieren und manches neu zu denken: z.B. was wir als Gesellschaft tun können, dass unser Zusammenleben etwas gerechter, etwas besser und etwas friedlicher wird.

Pausen sind mehr als nur Unterbrechungen im Alltag. Pausen sind vielmehr aktive Zeiten, denn im "Innehalten" geschieht ganz viel. Ich zünde eine Kerze an und betrachte das wärmende Licht. Ich halte inne - und nehme wahr, was alles da ist, an Fülle, an Leben und an Liebe. Dafür nehme ich mir Zeit - Lebenszeit. Ich nehme aber auch wahr, wo meine Schwächen sind, wo ich immer wieder gleich agiere, obwohl ich das nicht will. Und dieser Zeit, diesem Innehalten gebe ich Raum - Lebensraum.

In der Stille wachsen Gedanken, die sonst keinen Platz haben. Wie geht es eigentlich der alleinlebenden Nachbarin in dieser schwierigen Zeit? Hat sie Menschen, die für sie einkaufen gehen oder die sie zu einem Gespräch einladen? Was machen die Kinder der zugezogenen Familie? Wie meistern sie das Lernen zu Hause und haben sie überhaupt die Möglichkeit für Distance-Learning?

Das Leben ist bunt und vielfältig. Gelingen steht neben Versagen. Hoffnung neben Enttäuschung. Erfolg neben Schuld. Es gibt Dinge, die ändern sich nie! Ganz sicher gehört dazu die Sehnsucht nach Frieden, nach Harmonie und das Bedürfnis, geliebt zu werden. Auch die Barmherzigkeit Gottes zu uns ändert sich nie - das ist meine Überzeugung.

Immer wieder neu, besonders aber am Buß-und Bettag, gilt die Einladung innezuhalten und über unser Handeln nachzudenken. Als Gesellschaft und als einzelne.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Klaus Trabitsch
Album: LUFTDEPPERT
Titel: Du & i/instr.
und
Solist/Solistin: Klaus Trabitsch /Gitarre
Länge: 04:08 min
Label: Extraplatte EX 1602 CD

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