Zeichnung von Max Frisch

Max Frisch - DPA/FELIX KÄSTLE

Gedanken für den Tag

Wolfgang Müller-Funk über Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt

"Die Verführbarkeit des Menschen". Anlässlich des 30. Todestages von Max Frisch und des 100. Geburtstages von Friedrich Dürrenmatt spricht der Literaturwissenschafter Wolfgang Müller-Funk über Identität und Gewalt, über das Tragikomische, die Macht und die Verführbarkeit des Menschen

Als ich ins Gymnasium ging, waren die beiden großen modernen Schriftsteller aus der Schweiz, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch noch keine Pflichtlektüre. Kennengelernt haben wir diese übergroßen Gestalten der Nachkriegsliteratur im außerschulischen Bereich.

Vieles, was wir da lasen, kam uns fremd und rätselhaft vor, etwa das ominöse Andorra, das ja ganz offenkundig nicht den winzigen Staat in den Pyrenäen meinte, sondern einen gleichnishaften Kleinstaat, der von seiner Selbstbezogenheit lebt und der im Kleinen mitmacht, was draußen im Großen geschieht. In seinem "Tagebuch 1946-1949" hält der in Zürich geborene Architekt und Schriftsteller Max Frisch fest: "Andorra ist ein kleines Land, sogar ein sehr kleines Land."

Das Volk, das in ihm lebt, ist ein "sonderbares Volk", das von einer "begreiflichen" wie "lebenslänglichen" Angst lebt, dass es "die Maßstäbe verliere", eben weil das Land so klein ist. Deshalb erfahren so kleine, scheinbar abgelegene Länder wie die Schweiz die moderne Welt auf eine ganz besondere Weise - wie auch die Figuren in Friedrich Dürrenmatts Kriminalroman "Das Versprechen" aus dem Jahr 1957, der pedantische Kommissar Matthäi und sein Vorgesetzter H., der Kommandant der Kantonspolizei in Zürich, die an der Enge des peniblen Alpenlandes leiden.

Wer das kleine Meistwerk des 1921 in einem Dorf bei Bern geborenen Dürrenmatt heute in die Hand nimmt, der ist erstaunt, wie genau hier lange vor dem Anti-Heimatroman in Österreich beschrieben wird, dass das Unheimliche und Verstörende nicht in der Fremde, sondern in der vertrauten Heimat geschieht. Andorra ist überall, das kleine Gemeinwesen mit der freundlichen Vorderansicht, die die kollektive Gewaltbereitschaft gegen den Anderen, Fremden verbirgt, im Drama Frischs ebenso wie in Dürrenmatts Kriminalroman, in dem die Aufklärung grausam und irrwitzig zu spät kommt.

Service

Max Frisch, "Andorra", Suhrkamp Verlag
Max Frisch, "Tagebuch 1946-1949", Suhrkamp Verlag
Friedrich Dürrenmatt, "Das Versprechen: Requiem auf den Kriminalroman", dtv

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Hanns Eisler/1898 - 1962
Album: HANNS EISLER: ORCHESTERWERKE I
* Vorspiel - 1.Satz (00:01:52)
Titel: Suite Nr.2 op.24 aus dem Film "Niemandsland"
Orchester: Rundfunk Symphonieorchester Berlin
Leitung: Heinz Rögner
Länge: 01:52 min
Label: Berlin Classics 0092282 BC

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