Ein Pensionistin öffnet ihre Geldbörse

APA/HARALD SCHNEIDER

Radiokolleg - Problemfall: Pensionen

Gerechte Versorgung im Alter (4). Gestaltung: Johannes Gelich

Sie sind die wohl größte Errungenschaft des Wohlfahrtsstaates: die Pensionen und das System der Alters- und Pflegeversicherung. Doch so selbstverständlich wie die staatliche Altersvorsorge heute für jedermann ist, so lange hat die Implementierung des Rechtsanspruches auf Pensionen gedauert: bis ins 20. Jahrhundert hinein existierte auf dem Land in Österreich noch das sogenannte Einlegerwesen, bei dem alte und gebrechliche Knechte für einige Tage bei Bauern unterkamen und von diesen verpflegt wurden.

Dabei waren sie jedoch ganz der Willkür und sozialen Ader der Bauern ausgeliefert. Und auch die Bediensteten, Arbeiter und Knechte der Großgrundbesitzer waren ganz dem Gutdünken und dem Schutz ihrer Schirmherren ausgeliefert. Erst mit Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. wurde zunächst für ehemalige Soldaten eine Form der Invalidenrente und für Beamte eine Versorgung im Fall von arbeitsbedingter Arbeitsunfähigkeit eingerichtet. Die österreichischen Arbeiter mussten gar bis 1938 auf eine gesetzliche Alters- und Invalidenversicherung warten, die im Zuge des Anschlusses an Deutschland nach deutschem Recht eingeführt wurde.

80 Jahre später scheint das österreichische Pensionssystem die historischen Defizite abgelegt zu haben und eine gerechte Altersversorgung für alle anzubieten. Doch der Schein trügt: Gerade Frauen sind durch ihre unbezahlte Arbeit bei Pflege und Kinderbetreuung gegenüber Männern im Nachteil. Sie verdienen fast 40% weniger als Männer, arbeiten vermehrt in Teilzeit und bekommen dementsprechend weniger Pensionen. Vor allem der demographische Wandel und die steigende Lebenserwartung lassen heute einige Kritiker an der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit des österreichischen staatlichen Pensionssystems zweifeln, das zu den teuersten der Welt gehört.

Waren im Jahr 1980 noch zwei von zehn Einwohnern über 65, sind es heute 3 von zehn. Im Jahr 2060 werden beinahe 60% aller Einwohner Österreichs über 65 Jahre als sein. Das führe unweigerlich zu einem finanziellen Kollaps des Systems, wenn es nicht zu einschneidenden Reformen käme, meinen Kritiker. Das Pensionssystem ist finanzierbar, wichtige Reformen seien bereits eingeleitet worden, meinen dagegen andere Experten. Nicht zuletzt durch die Corona-Krise sind die Herausforderungen für den österreichischen Wohlfahrtsstaat und sein Pensionssystem jedoch gewaltig: durch die gestiegene Arbeitslosigkeit und die fehlenden Sozialversicherungsbeiträge klafft im Budgethaushalt ein Milliardenloch.

Ob am Ende des Tages die Zeche zwischen alt und jung gerecht aufgeteilt werden wird, darf bezweifelt werden. Denn für die Politiker einer alternden Gesellschaft wird ein Leitsatz immer wichtiger: "Ohne Pensionisten gewinnen Sie keine Wahlen!"

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Bernhard Hammer, Tanja Isteni? and Lili Vargha: The Broken Generational Contract in Europe: Generous transfers to the elderly population, low investments in children

https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/57807

Wolfgang Gründinger: Alte-Säcke-Politik, Wie wir unsere Zukunft verspielen
Gütersloher Verlagshaus, 2016

Michael Fuchs, Tamara Premrov: New challenges and developments in life courses and
related policies affecting women's old-age pensions

https://www.euro.centre.org/projects/detail/3651

Lukas Sustala: Zu spät zur Party. Warum eine ganze Generation den Anschluss verpasst, Ecowin, 2020

Simone Häckl, Martin G. Kocher, Axel Sonntag, Florian Spitzer: Pensionsreformansätze aus
verhaltensökonomischer Sicht.
https://irihs.ihs.ac.at/id/eprint/5441/1/ihs-report-2020-haeckl-kocher-sonntag-spitzer-pensionsreformansaetze-aus-verhaltensoekonomischer-sicht.pdf

Theodor Tomandl: Wie sicher sind unsere Pensionen?, Braumüller, 2011

Ageing Report 2018
https://www.bmf.gv.at/themen/wirtschaftspolitik/wirtschaftspolitik-in-oesterreich/ageing-report-2018.html

Pensions at a Glance 2019
OECD AND G20 INDICATORS
https://www.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/pensions-at-a-glance-2019_b6d3dcfc-en

Pia Hüttl, Karen Wilson and Guntram Wolff: The Growing intergenerational divide in Europe, Nov. 2015; Brueghel Policy Contribution
https://www.bruegel.org/2015/11/the-growing-intergenerational-divide-in-europe/

Sendereihe

Gestaltung

  • Johannes Gelich