Wenn Menschen zwangsweise "untergebracht" werden

19. Jänner 2021, 13:00

"Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Schutz der Patienten und Patientinnen und dem erzwungenen Freiheitsentzug", sagt Patientenanwalt Bernhard Rappert vom VertretungsNetz, einem Verein, der sich für den Schutz der Grundrechte von Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung einsetzt.

Das Unterbringungsgesetz regelt die Zwangseinweisung von Menschen in die Psychiatrie, wenn eine unmittelbare Gefahr für andere oder eine Eigengefährdung vorliegen. Wie werden diese Entscheidungen in der Praxis getroffen? Nach dem Tod einer psychisch kranken Frau bei einem Polizeieinsatz ist die Diskussion über eine Reformierung des Unterbringungsgesetzes erneut entflammt. Die 67-Jährige hatte ihre Heimhilfe mit einem Messer bedroht; die Einsatzkräfte verletzten sie durch einen Schuss in den Oberkörper tödlich.

"Die Beurteilung der Situation ist das Schwierigste. Niemand kann in die Zukunft schauen und mit Sicherheit sagen, ob ein Mensch eine Gefährdung für sich oder andere darstellen wird", sagt Bernhard Rappert. Der Jurist ist Fachbereichsleiter für die Psychiatrie und somit Experte für das Unterbringungsgesetz. "Eine Studie aus dem vergangenen Jahr hat aufgezeigt, dass die Angst vor einer persönlichen Haftung die Entscheidung für oder gegen einen Freiheitsentzug maßgeblich beeinflusst. Wenn keine Einweisung durch einen Arzt veranlasst wird und dann jemand zu Schaden kommt, dann kann das theoretisch für die entscheidenden Personen zu haftungsrechtlichen Problemen führen. Deshalb geht man da gerne auf Nummer sicher." Die durchschnittliche Unterbringungsdauer für Menschen, die zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen werden, liegt in Österreich bei 12 Tagen. "Aufgehoben wird sie danach häufig aufgrund des Drucks, dass die freien Betten gebraucht werden", kommentiert Bernhard Rappert die angespannte Situation in den psychiatrischen Stationen.

Die Überlastung in den psychiatrischen Krankenhäusern war mit ein Grund, warum 2018 in Salzburg das Projekt der integrierten Versorgung gestartet wurde. In Australien, den USA und auch in Deutschland hat man seit vielen Jahre gute Erfahrungen damit gemacht, psychisch kranke Menschen über ein multidisziplinäres Behandlungsnetzwerk zu Hause zu betreuen. In den Niederlanden gibt es bereits über 300 solche Teams; in Salzburg sind es seit drei Jahren zwei Teams. "Wir wollen uns bewusst um die schweren Fälle kümmern. Also zum Beispiel Patientinnen und Patienten, die an einer Psychose leiden und für die es oft sehr schwer ist, den Kontakt nach außen zu halten", berichtet Dr. Marc Keglevic, einer der Teamleiter des Projekts. Der Erfolg spricht für sich: 80% weniger Einweisungen in die Psychiatrie waren die Folge der Betreuung durch ein multifunktionales Team, dem auch eine "Genesungsbegleiterin" angehört.

Elisabeth Scharang fragt ihre Gäste: Ist das System der klassischen stationären Psychiatrie und der Zwangseinweisungen überholt?

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Sendereihe

• Punkt eins