Büste von Gotthold Ephraim Lessing

DPA/MATTHIAS HIEKEL

Gedanken für den Tag

Susanne Heine über Gotthold Ephraim Lessing

"Über den Graben springen". Lessing könne auch heute vielen aus dem Herzen sprechen, meint die Religionspsychologin und evangelische Theologin Susanne Heine

Lessings Theologenstreit ruft die Zensur auf den Plan. Aber er predigt weiter, auf seiner "alten Kanzel", dem Theater. "Nathan, der Weise" entsteht.

Im Mittelpunkt steht die Ringparabel: Ein Vater besitzt einen Ring, der die Kraft hat, angenehm zu machen, für ein friedliches Miteinander zu sorgen. Er hat drei Söhne. Wem soll er den Ring vererben? Allen dreien, beschließt er, lässt Kopien des Ringes machen und stirbt. Die Söhne streiten: Wer hat den ursprünglichen, wahren Ring? Ein Richter soll entscheiden. Sein Urteil: Da der echte Ring Frieden stiftet, aber die Söhne streiten, hat keiner den wahren Ring. Die Ringe stehen für die drei Religionen: Judentum, Christentum und Islam.

Lessing ist realistisch. Über ihre verschiedenen Schriften und Lehren finden die drei Religionen nie zusammen. Er lenkt den Blick auf die Praxis. Sind sich nicht alle drei einig: Der Glaube muss sich im Tun des Guten bewähren? "Es strebe jeder von euch um die Wette," sagt der Richter, "die Kraft seines Rings zu beweisen". Hier zitiert Lessing eine Sure aus dem Koran: "Hätte Gott gewollt, er hätte euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht - doch er wollte euch prüfen. Wetteifert darum um das Gute" (Sure 5,48). Vergleichbares findet sich vielfach in der Bibel: Nächstenliebe als Bewährungsprobe (Lev 19,18; Gal 5,6).

Lessing lässt nur die Ethik gelten, denn: Sind nicht alle Übel daraus entstanden, dass Menschen versucht haben, ihre Religion gegen andere hasserfüllt und blutig durchzusetzen? Aber was wäre ein jüdisches Leben ohne Tora? Ein christliches ohne Evangelium? Ein muslimisches ohne Koran? Lessing vernachlässigt die Identität der verschiedenen Religionen, legt aber den Finger auf das, was die Religionen selbst oftmals vernachlässigen: den glaubwürdigen Einsatz für ein menschenwürdiges und unverletztes Leben. Religiöse Menschen können gute Menschen sein, aber Lessing hat recht: Gute Menschen müssen nicht religiös sein. Erst 1783, zwei Jahre nach Lessings Tod, betritt Nathan, der weise Jude die Bühne.

Service

Friedrich Vollhardt, "Gotthold Ephraim Lessing. Epoche und Werk", Verlag Wallstein
Rüdiger Scholz, "Die heimliche Autobiographie des Gotthold Ephraim Lessing", Verlag Königshausen u. Neumann
Monika Fick, "Lessing-Handbuch", Verlag J. B. Metzler

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Christoph Willibald Gluck/1714 - 1787
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Ranieri Calzabigi
Gesamttitel: ORFEO ED EURIDICE / Azione teatrale in 3 Akten / Gesamtaufnahme der Wiener Fassung / 1.Akt, 2.Akt 1.Teil
Titel: 3. Ballett (Larghetto) (00:02:34)
Anderer Gesamttitel: ORPHEUS UND EURYDIKE / ORPHÉE ET EURIDICE
Leitung: Frieder Bernius
Orchester: Tafelmusik
Solist/Solistin: Nancy Argenta /Euridice, Sopran
Solist/Solistin: Michael Chance /Orfeo, Countertenor
Solist/Solistin: Stefan Beckerbauer /Amor, Knabensopran
Chor: Kammerchor Stuttgart
Ausführender/Ausführende: Jeanne Lamon /Konzertmeister, 1.Violine
Länge: 02:34 min
Label: Sony SX2K48040 (2 CD)

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