GEMEINFREI
Punkt eins
Als "das Unglaubliche" herrschte und scheiterte
Die erste "Diktatur des Proletariats": 150 Jahre Pariser Kommune.
Gast: Dr. Werner T. Bauer, Kulturanthropologe, Kurator der Dauerausstellung "Das rote Wien im Waschsalon".
Moderation: Natasa Konopitzky.
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24. März 2021, 13:00
"Für den Augenblick sind Frankreich und Paris im Griff der Arbeiter. Wie lange wird das dauern? Wir wissen es nicht. Das Unglaubliche herrscht", schreibt Edmond de Goncourt 1871 in sein Tagebuch. Der bürgerliche Schriftsteller war von "Abscheu ergriffen" über den "bewaffneten Plebs", wie er notierte.
72 Tage sollte sie dauern, die Pariser Kommune - und folgenreich in die Geschichte eingehen: Am 18. März 1871 hissten die Kommunarden rote Flaggen in der Stadt und gründeten bald darauf die erste Arbeiterregierung der Welt. Ende Mai wurde das sozialistische Experiment blutig niedergeschlagen. Mehr als 10.000 Menschen fielen den Soldaten der französischen Armee zum Opfer.
Trotz der kurzen Dauer wurden viele politische und sozialreformerische Ideen umgesetzt, um die verarmte Bevölkerung zu entlasten und deren Bildung zu verbessern: Die allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt, der Unterricht erfolgte kostenlos, Mietschulden wurden erlassen, Arbeiterschutzbestimmungen fixiert. Außerdem wurde die Trennung von Kirche und Staat vollzogen. Und die Frauen der Kommune erstritten sich das Recht auf Arbeit und auf gleichen Lohn.
Zum ersten Mal in der Geschichte, schreibt der deutsche Publizist Sebastian Haffner, sei es um jene Dinge gegangen, um die auch heute gerungen werde: Um Demokratie, Parlamentarismus, Sozialismus, Säkularisierung, Volksbewaffnung und Frauenemanzipation.
Während manche die Pariser Kommune als einen Manifestationspunkt der Moderne betrachten und deren Ideen als sozialrevolutionär feiern, sehen andere die Pariser Kommune als einen traurigen Bürgerkriegsmoment und die Kommunarden als gewalttätige, randalierende Chaoten.
Welchen Einfluss hatte die Pariser Kommune auf die Revolutionen des 20. Jahrhunderts? Wie wurde sie im Roten Wien rezipiert? Wie wird die Kommune historisch eingeordnet? Welche politischen Gräben vertieft die Diskussion um das Gedenken an die Kommune im heutigen Frankreich?
Natasa Konopitzky spricht mit Werner T. Bauer, dem Kurator der aktuellen Ausstellung "Vive la Commmune. Die erste Diktatur des Proletariats" im Waschsalon in Wien über den Gründungsmythos der internationalen Arbeiterbewegung.
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Service
Ausstellung:
"Viva la Commune. Die erste Diktatur des Proletariats"
bis 27.2.2022
Halteraugasse 7, 1190 Wien
Das Rote Wien im Waschsalon
Literatur:
Kristin Ross: Luxus für alle: Die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune. Übersetzt von Felix Kurz. Matthes & Seitz Berlin, 2021
Louis Michel: Die Pariser Commune. Übersetzt von Veronika Berger. mandelbaum Verlag, 2020
Bernd Schuchter: Gustave Courbet und der Blick der Verzweifelten. Braumüller, 2021
Sendereihe
Gestaltung
- Natasa Konopitzky
Playlist
Urheber/Urheberin: Antoine Renard
Titel: Le temps de cerises
Ausführender/Ausführende: Guliette Greco
Länge: 02:22 min
Urheber/Urheberin: Gerard Pierron & Jules Fuary
Titel: La marseillaise de la commune
(Musik tw unterlegt)
Ausführender/Ausführende: Pauline Floury & Severin Valiere
Länge: 02:25 min
Urheber/Urheberin: Le amis d'ta femme
Titel: La Semaine Sanglante
(Musik tw unterlegt)
Ausführender/Ausführende: Le amis d'ta femme
Länge: 02:31 min