Cornelius Hell

Cornelius Hell - ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Cornelius Hell über Wolfgang Borchert

"Jesus macht nicht mehr mit". Der Literaturkritiker und Übersetzer Cornelius Hell über den Autor des wichtigsten Theaterstückes der deutschen Nachkriegszeit, anlässlich dessen 100. Geburtstages

Sie sind ein religiöser Dichter. Warum verbergen Sie es? Natürlich bin ich ein religiöser Dichter. Ich verberge es nicht. Ich glaube an die Sonne, an den Walfisch, an meine Mutter und an das Gras. Genügt das nicht? Das Gras ist nämlich nicht nur das Gras.

Diesen Dialog führte der deutsche Schriftsteller Wolfgang Borchert im Oktober 1947, knapp vor seinem Tod mit nicht einmal 27 Jahren. Gerade der letzte Satz holt mich immer wieder ein: Das Gras ist nämlich nicht nur das Gras. Dieses Staunen vor Pflanzen und Tieren, der Glaube an die Sonne und an einen Menschen - ist nicht das der Glutkern einer Religion, die sich wehrt gegen die Banalität des Selbstverständlichen, gegen Abstumpfung und Alltagstrott?

Borcherts Antwort enthält aber auch eine Portion Ironie gegen religiösen Bekenntniszwang. Und mit dem Glauben an einen Gott hatte er Schwierigkeiten, die er aus den Erfahrungen seiner Generation formuliert: "So sind wir die Generation ohne Gott, denn wir sind die Generation ohne Bindung, ohne Vergangenheit, ohne Anerkennung." In seinem bekanntesten Werk, dem Stück "Draußen vor der Tür", stellt der Kriegsheimkehrer Beckmann die Frage nach Gott leidenschaftlich und laut: Oh, wir haben dich gesucht, Gott, in jeder Ruine, in jedem Granattrichter, in jeder Nacht. Wir haben dich gerufen. Gott! Wir haben nach dir gebrüllt, geweint, geflucht! Wo warst du da, lieber Gott?

Gleich zu Beginn, im Vorspiel, tritt Gott im Stück "Draußen vor der Tür" sogar als Figur auf - eine Anspielung an Goethes Faust-Prolog. Doch während bei Goethe Gott dominiert, erscheint er in Borcherts Drama als der Unterlegene angesichts einer ausweglosen und tödlichen Geschichte. Borchert parodiert den Optimismus der klassischen Tragödie.

Borcherts Einspruch gegen eine Rede von Gott, die sich von Kriegen und von der Pervertierung aller Werte im Nationalsozialismus nicht irritieren lässt, gilt, so denke ich, noch immer. Aber ich kann auch seine Frage nicht vergessen: Ich glaube an die Sonne, an den Walfisch, an meine Mutter und an das Gras. Genügt das nicht? Das Gras ist nämlich nicht nur das Gras.

Service

Michael Töteberg (Hg.), "Wolfgang Borchert. Das Gesamtwerk", Rowohlt Verlag
Wolfgang Borchert, "Draußen vor der Tür und andere Werke", Verlag Reclam
Wolfgang Borchert, "Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen", Verlag Rowohlt
Peter Rühmkorf (Hg.), "Wolfgang Borchert. Die traurigen Geranien und andere Geschichten aus dem Nachlass", Verlag Rowohlt
Gordon J. A. Burgess (Hg.) und Michael Töteberg (Hg.), "Wolfgang Borchert. Allein mit meinem Schatten und dem Mond", Verlag Rowohlt
Gordon Burgess, "Ich glaube an mein Glück. Eine Biographie", Aufbau Taschenbuchverlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Friscoe
Komponist/Komponistin: Clarke
Album: JAZZ TRIBUNE Nr.10 / THE COMPLETE SIDNEY BECHET VOL.1/2 (1932-41)
Titel: Shake it and break it/instr.
Ausführende: Sidney Bechet and the Chamber Music Society of Lower Basin Street
Ausführender/Ausführende: Sidney Bechet /Sopransaxophon
Ausführender/Ausführende: Henry "Hot Lips" Levine /Trompete
Ausführender/Ausführende: Jack Epstein /Posaune
Ausführender/Ausführende: Alfred Evans /Klarinette
Ausführender/Ausführende: Rudolph Adler /Tenorsaxophon
Ausführender/Ausführende: Mario Janarro /Piano
Ausführender/Ausführende: Tonny Collucci /Gitarre
Ausführender/Ausführende: Harry Patent /Bass
Ausführender/Ausführende: Nat Levine /Drums
Länge: 01:54 min
Label: RCA ND 89760 (2 CD)

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