Joseph Horovitz - eine kleine Hommage zum 95er

26. Mai 2021, 14:05

Erwin Steins Mahler-Bearbeitung

In Arnold Schönbergs Wiener "Verein für musikalische Privataufführungen" (1918-1921) wurden Werke, die damals auf den Konzertpodien selten oder nicht anzutreffen waren, vorgestellt. Große Orchesterwerke lagen außerhalb der Möglichkeiten des Vereins, und so bearbeiteten Schönberg und sein Schülerkreis die Werke für Kammerensembles. 1920 schuf Erwin Stein eine Fassung der Symphonie Nr. 4 (1901) von Gustav Mahler für Flöte, Oboe, Klarinette, Englischhorn, Klavier, Harmonium, Streichquintett und Schlagzeug. Faszinierend zu hören, was sich trotz geänderten Klangbildes vom Original erhalten und was sich geändert hat.

Geboren wurde Erwin Stein 1885 in Wien. Wenige Monate nach seiner Geburt konvertierte seine Mutter zum evangelischen Glaubensbekenntnis H.B. Erwin und seine Schwester wurden ebenfalls "evangelisch". 1938, nach dem "Anschluss Österreichs" an das nationalsozialistische Deutschland, galt er den Nationalsozialisten als Jude und wurde gezwungen, seine Anteile an der Universal Edition zu verkaufen. Es gelang die Flucht nach London, wo er Mitarbeiter des Musikverlags Boosey & Hawkes wurde.


Joseph Horovitz - Sei Muatterl war a Weanerin

Heute, am 26. Mai, feiert Joseph Horovitz seinen 95. Geburtstag. Auch sein Lebensweg begann in Wien. Dem 1926 als Sohn des Gründers des Wiener Phaidon-Verlags Geborenen gelang im März 1938 die Flucht nach England, die der 11-Jährige als "Abfahrt" empfand. Er studierte in Oxford Musik, u. a. bei Egon Wellesz, dann am Royal College of Music in London bei Gordon Jacob und ein Jahr lang in Paris bei Nadia Boulanger. Wien bezeichnet der Komponist, der bis vor wenigen Jahren am Royal College of Music Komposition unterrichtet hat, als "Fremdstadt, die ich gut kenne. Wien ist schön - in meinen Gedanken -, aber Heimat kann es nicht sein, weil sie es nicht ist."


Ein (ge)wichtiges Streichquartett

Dass die Abfahrt eine Flucht war, wurde Joe, wie ihn seine Freunde nennen, erst während der Arbeit an seinem 5. Streichquartett bewusst. Es entstand 1969 zum 60. Geburtstag des Kunsthistorikers Ernst Gombrich für das aus drei Wienern und einem Engländer bestehende Amadeus String Quartet. Diese drei Wiener und Gombrich waren, wie Horovitz, aus Wien Geflüchtete.

Das Werk beginnt mit e-g, den Initialen Gombrichs und deren Umkehrungen, "hoffentlich freundliche melodische Bewegungen", mit denen man "viel machen" kann. Als sich daraus plötzlich Anklänge an das Wiener Lied "Mei Muatterl war a Weanerin" ergaben, war der Komponist mit der Frage konfrontiert: "Warum sind wir fünf hier in England? Und da wurde ich sozusagen böse. Warum durfte ich nicht in Wien bleiben, wo ich vielleicht hingehört hab´?" So entwickelte sich "ganz von selbst eine dramatische Handlung. Die Themen gerieten in einen heftigen Streit." Er schrieb "schmutzige Akkorde", die sich "nicht logisch aus den Tönen" ableiten ließen, sondern den Prozess brutal unterbrechen. In die wüsten Akkorde setzte Horovitz "sehr bewusst" ein kurzes Zitat aus dem "Horst Wessel-Lied", dem berüchtigten Kampflied der SA bzw. der späteren Parteihymne der NSDAP. Wie der Konflikt endet? Einfach diesem viertelstündigen (ge)wichtigen Quartett bis zum Schluss zuhören.

Sendereihe

• Das Ö1 Konzert

Gestaltung

• Peter Kislinger

Übersicht

• Ö1 Bühne