Arnold Schönberg

Arnold Schönberg - ORF/CLASSICA ITALIA

Gedanken für den Tag

Melanie Unseld über Arnold Schönberg

"Sucher in der Moderne". Anlässlich dessen 70. Todestages erinnert die Musikwissenschafterin Melanie Unseld an einen der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts

Die Stimme ruft, schmeichelt, flüstert, haucht, hetzt, wiegt sich, verhallt, tiriliert, spricht. und gleitet über ins Singen. Schönbergs Pierrot Lunaire op. 21. So viel Tonfreiheit für die Stimme war 1912 "unerhört" - Liedkompositionen nicht im Sinne des romantischen (oder auch spätromantischen) Kunstliedes zu denken, sondern als Ausdrucksplattform für Stimme in ihrer größtmöglichen Freiheit.

Freiheit als Schlüsselwort: "Ich fordere", so Schönberg, "nicht Gedanken-, sondern Tonfreiheit! . Um unsere Dichter, um unsere Komponisten mitzuteilen, brauchen wir beides, den Gesangs- wie auch den Sprachton." Letzterer, der Sprachton, aber ist hoch individuell: Jede Sprechstimme ist anders, wen würde dies gerade beim Radiohören wundern! Die Sprechstimme der Diseuse Albertine Zehme war Schönbergs Ausgangspunkt für die Komposition des Pierrot lunaire.

Die hohe Kunst der Diseusen, die die Kunst des Sagens schon in ihrer Berufsbezeichnung tragen, kennt mannigfache Zwischentöne. Diese Zwischentöne spiegeln sich in der Komposition wider. Zugleich wird der Interpretin die Tonfreiheit zurückgegeben. Sprache und Stimme. Darin das unverwechselbare, das innerste Ich zu entdecken, ihm Raum zu geben, ist 1912 nicht nur ein kompositorisch-emanzipatorischer Schritt. Eine Stimme zu haben, ist in einer Gesellschaft, die sich aus den alten Systemen blutig und mühsam ins Demokratische herauswindet, auch eine politisch-emanzipatorische Idee. Eine Stimme haben, die eigene Stimme behaupten!

Dass die Stimme auch wieder genommen werden kann, dass die eigene Stimme in neuer Sprache wieder neu gefunden werden muss, war dann auch dem Exilanten Schönberg tief bewusst. Und im Tonfall fällt die wienerisch-englisch-sprechende Stimme auf, etwa im Interview mit John Campbell, 1950 aufgezeichnet. Der Tonfall des Exilanten, in dem die Sprachtöne der Vergangenheit nachschwingen. Tonfälle, wie Schönberg sie auch kompositorisch im Überlebenden aus Warschau konfrontiert: das amerikanische Ich, der militärische Tonfall des NS-Feldwebels und der Chor, die kollektive Stimme der jüdischen Glaubensgemeinschaft.
Stimme als hörbares Signum des Selbst, der eigenen Geschichte und der Mehrfachzugehörigkeiten.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Arnold Schönberg/1874 - 1951
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Albert Giraud/1860 - 1929
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Otto Erich Hartleben /Übersetzung/1864 - 1905
Gesamttitel: PIERROT LUNAIRE, op.21 - 3 mal 7 Gedichte von Albert Giraud (Melodram) für eine Sprechstimme und Instrumente
Titel: 10. Gebet an Pierrot (00:01:06) - tw. unterlegt
Textanfang: Pierrot! Mein Lachen hab ich verlernt
Album: ROBERT CRAFT COLLECTION: SCHÖNBERG VOL.6
Solist/Solistin: Anja Silja /Sprechstimme
Ausführende: The 20th Century Classics Ensemble
Ausführender/Ausführende: Christopher Oldfather /Klavier
Ausführender/Ausführende: Michael Parloff /Flöte, Piccolo
Ausführender/Ausführende: Charles Neidich /Klarinette, Baßklarinette
Ausführender/Ausführende: Rolf Schulte /Violine, Viola
Ausführender/Ausführende: Fred Sherry /Violoncello
Leitung: Robert Craft
Länge: 01:06 min
Label: Naxos 8557523

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