Arnold Schönberg

Arnold Schönberg - ORF/CLASSICA ITALIA

Gedanken für den Tag

Melanie Unseld über Arnold Schönberg

"Sucher in der Moderne". Anlässlich dessen 70. Todestages erinnert die Musikwissenschafterin Melanie Unseld an einen der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts

Wahlrecht

Mathilde Schönberg, geb. Zemlinsky, und Dr. Elsa Bienenfeld waren beide Anfang vierzig, als sie das erste Mal von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen durften. Mathilde Schönberg, Schönbergs erste Ehefrau und Mutter der beiden Kinder Gertrud und Georg, Elsa Bienenfeld, die Wiener Musikwissenschaftlerin und Musikkritikerin, die am Konservatorium studiert hatte und bei Guido Adler 1904 promoviert wurde, die zeitweilig auch Kompositionsschülerin von Zemlinsky und Schönberg war. Zwei erwachsene Frauen, zwei Beispiele aus Schönbergs unmittelbarem Umfeld. Viele könnten noch ergänzt werden: Interpretinnen, Schülerinnen, Pädagoginnen, Malerinnen, Librettistinnen und Dichterinnen, Ärztinnen, Mäzeninnen... Was sie eint: ihre politische Unmündigkeit in einer Zeit, die sich zwar als Moderne, als Avantgarde, in eine neue Zeit aufmachte, die dieses große Projekt aber vor allem als Projekt von Männern (und für Männer) ansah: Adolf Loos, der über Künstlerinnen hämisch spottete, Otto Weininger, dessen Buch Geschlecht und Charakter allen zur Bibel wurde. Die Wiener Moderne ist grosso modo misogyn.

Und Schönberg? Während er das Libretto von Marie Pappenheim für das Melodram Erwartung vertont und selbstverständlich den Auftrag von Albertine Zehme für Pierrot lunaire annimmt, während er also mit Künstlerinnen zusammenarbeitet, bleiben doch viele Frauen aus seinem Umfeld unsichtbar. So etwa seine Schülerinnen. Dabei gab es sie, wie Elisabeth Kappel uns gerade erst vor kurzem blendend vor Augen geführt hat: Vilma Webenau, Alice Schwenk, Pia Gilbert, Else Rethi, um nur wenige Namen zu nennen.

Stellen wir uns also vor, Mathilde Schönberg und Elsa Bienenfeld haken sich unter und gehen gemeinsam am 16. Februar 1919 zur Wahl der konstituierenden Nationalversammlung. Auf dem Weg unterhalten sie sich über diesen Schritt: Sind wir nun Avantgarde? Dr. Bienenfeld, mit ihrem kritisch-historischen Blick, bleibt stehen: Warum erst jetzt? Und Mathilde Schönberg neben ihr: Was, wenn sich das Blatt wieder wendet? Ihr Mann hatte wenige Wochen zuvor den Verein für musikalische Privataufführungen gegründet, um Aufführungen von zeitgenössischer Musik zu ermöglichen: ein Rückzug ins Private für die aktuelle Musik - um störungsfreie Aufführungen ohne den Widerstand eines konservativen Publikums erleben zu können. Das Öffentliche - wird privat. Schönberg zog selbst gewählt die Musik der Moderne zurück in den Schutzraum des Privaten. Im gleichen Moment betraten die Frauen die politische Bühne. Wahlrecht auch hier: ein unerhörter Skandal und zugleich Avantgarde.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Arnold Schönberg/1874 - 1951
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Marie Pappenheim/1882 - 1966
Titel: ERWARTUNG op.17 / Monodram in einem Akt für Sopransolo und Orchester
Titel: 1. Hier hinein - 1.Szene (00:03:01)
Solist/Solistin: Jessye Norman /Sopran
Orchester: Metropolitan Opera Orchestra
Leitung: James Levine
Länge: 03:01 min
Label: Philips 4262612

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