Rembert Schleicher über Maximilian Kolbe

9. August 2021, 06:56

Es sind kleine Geschichten, oft nur Momente, kurze Augenblicke, die das größere Ganze und auch die Ungeheuerlichkeit der Geschichte bereits auf den Punkt bringen.

Ich denke da an jenen Moment, als der polnische Franziskaner Minorit Maximilian Kolbe im Konzentrationslager nach acht Stunden des Stehens bei einem Strafappell den ersten Schutzhaftlagerführer SS-Hauptsturmführer Karl Fritzsch in makellosem Deutsch ansprach. Das war gewagt und galt an sich schon als todeswürdig. Ein Mithäftling war angeblich geflohen und Fritzsch wählte willkürlich zehn Häftlinge aus, die im Hungerbunker sterben sollten.

Unter ihnen war Franciszek Gajowniczek, der verzweifelt klagte, dass er Frau und Kinder habe. Pater Kolbe bat Fritzsch, an Stelle dieses Mithäftlings in den Tod gehen zu dürfen. Und Fritzsch akzeptierte, nachdem der Minorit auf die Frage nach seinem Beruf geantwortet hatte: "Ich bin katholischer Priester." Er akzeptierte nicht aus Mitleid, sondern aus Zynismus.

Das alles hat kaum eine Minute gedauert. Dieser Minutenmoment offenbart das Machtbewusstsein und die Unmenschlichkeit eines Systems, das vielen Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Zugleich offenbart dieser Augenblick von Auschwitz aber auch, dass und wie es möglich ist, ein vermeintlich unbesiegbares System aufzubrechen. Es gibt zwar kein Protokoll dieses Willkürakts, aber der Hergang der Ereignisse ist nach Überlebenden unbezweifelbar verbürgt.

"Leben für Leben" hat der Deal gelautet. "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt", so sagt Jesus im Johannesevangelium zu seinen Jüngern. Was aber befähigt einen Menschen, einen solchen Schritt zu tun? Es ist wert, das zu erfragen.

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• Alexandra Mantler