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Medizin und Gesundheit
Letzte Hilfe - Die Diskussion zum assistierten Tod
7. Oktober 2021, 16:05
"Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen." So lautet die Formulierung im § 78 des Österreichischen Strafgesetzbuches. Im Dezember 2020 hat der Verfassungsgerichtshof dieses Verbot, speziell den Halbsatz ".oder ihm dazu Hilfe leistet" als verfassungswidrig aufgehoben. Jemand anderen zur Selbsttötung zu verleiten oder gar die Tötung auf Verlangen bleibt hingegen auch künftig strafbar. Die Entscheidung des VfGH ist mit 1.1.2022 umzusetzen.
Viel Zeit bleibt also nicht mehr, um sich nun der Debatte rund um das Thema Sterbehilfe zu stellen und hier eine neue gesetzliche Grundlage zu schaffen.
Dialogforum Sterbehilfe als Grundlage für neues Gesetz
Im "Dialogforum Sterbehilfe" haben Vertreterinnen und Vertreter verschiedenster Organisationen und Religionsgemeinschaften bereits vor einigen Monaten über das Thema Suizidbeihilfe diskutiert. Der Schlussbericht dient nun als Grundlage für die gesetzliche Neuregelung. Ein schwieriges Unterfangen, stehen einander doch überaus konträre Positionen gegenüber, wie der Jurist Ralph Janik von der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität betont. Er verfolgt die rechtlichen Streitigkeiten rund um den assistierten Suizid auf europäischer Ebene seit Jahren. So betonen die einen die Freiheit des Einzelnen, die auch die Entscheidung über den eigenen Tod umfasst. Auf der anderen Seite warnt man vor einer Art Suizid-Inflation, begleitet von gesellschaftlichem und familiärem Druck auf ältere oder schwerkranke Familienmitglieder.
International unterschiedlich geregelt
In den meisten Ländern ist die Tötung auf Verlangen verboten. Nur in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg erlaubt man die aktive Sterbehilfe, wenn auch unter strengen Auflagen. In der Schweiz ist es auch Ausländern möglich, ihrem Leben auf diese Weise ein Ende zu bereiten, sodass der Sterbetourismus boomt. Rund 200 Personen buchen jährlich die "Swiss Option" - ein Ticket ohne Rückfahrt. Einen Menschen zu begleiten und etwa aus Österreich mit dem Auto in die Schweiz zu bringen oder die Fahrkarte zu bezahlen kann allerdings bereits als Beihilfe zur Selbsttötung einen Strafbestand darstellen.
In Deutschland ringt man ebenfalls um ein neues Gesetz, da auch hier im Februar 2020 das Bundesverfassungsgericht das Verbot der "geschäftsmäßigen" Sterbehilfe gekippt hat. Nach Ansicht der Richter schließe das Recht auf selbstbestimmtes Sterben das Recht ein, sich mit Hilfe Dritter das Leben zu nehmen. Man kann also einem Angehörigen oder einem Arzt bitten, ein tödliches Präparat zu besorgen. Einnehmen muss dieses der Sterbewillige jedoch selbst. Ähnlich wie in Österreich steht nun der Gesetzgeber vor der Aufgabe, hier eine Neuregelung zu finden.
Hospiz- und Palliativbetreuung
Die Hospiz- und Palliativversorgung verfolgt das Ziel, Menschen am Lebensende zu begleiten und ein würdevolles, nach Möglichkeit auch schmerzfreies Sterben zu ermöglichen. Die zugehörigen Gesellschaften kritisieren die Einführung des assistierten Suizids. Denn, bevor eine Vollversorgung im Bereich Hospiz und Palliativ Care sichergestellt ist, besteht das Risiko, dass sich Menschen nur aufgrund fehlender Betreuungs- und Behandlungsangebote für den Suizid entscheiden, nicht jedoch aus freien Stücken.
Für Rudolf Likar, Vizepräsident der Österreichischen Palliativgesellschaft, sollte der assistierte Suizid demnach nicht die "letzte Antwort" sein. Der Wunsch, das Leben vorzeitig zu beenden sei, bei guter Betreuung, kaum ein Thema. Dazu müsse man sich als Gesellschaft aber auch mit dem Tabuthema Tod auseinandersetzen, so der Intensivmediziner, der mit dem Buch "Es lebe der Tod" für einen klareren Umgang mit dem Sterben plädiert.
Moderation und Sendungsvorbereitung: Dr. Ronny Tekal
Redaktion: Dr. Christoph Leprich und Mag.a Nora Kirchschlager
Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.
Wie stehen Sie zum Thema Sterbehilfe?
Lässt sich Ihrer Meinung nach aus dem Recht auf Leben auch das Recht auf Sterben ableiten?
Sind Sie in Ihrem persönlichen Umfeld schon mit dieser Fragestellung konfrontiert worden?
Sind Angehörige oder Freude von Ihnen mit starken Schmerzen und anderen furchtbaren Beschwerden menschenunwürdig verstorben?
Welche Erfahrungen haben Sie mit Hospiz- oder Palliativeinrichtungen gemacht?
Service
Gast im Funkhaus Wien
Dr. MMag. Ralph Janik
Jurist
Lektor für internationales Recht
Institut für Rechtswissenschaften
Sigmund Freud Privatuniversität Wien
Tel: +43/1/798 40 98
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Gäste am Telefon:
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar
Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Vizepräsident der Österreichischen Palliativgesellschaft
Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin
Klinikum Klagenfurt am Wörthersee
Tel: +43/436/538-0
E-Mail
Homepage
Dr.in Isolde Lernbass-Wutzl
Fachärztin für Radiologie
Röntgendiagnostik in Hollabrunn
Wissenschaftlicher Beirat der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende
E-Mail
Homepage
Info-Links:
Dialogforum Sterbehilfe (BM für Justiz, 2021)
Österreichische Palliativgesellschaft
Hospiz- und Palliative Care Österreich zum assistierten Suizid
Sterbehilfe: Die wichtigsten Fragen und Antworten (Bayerischer Rundfunk, 2021)
Ralph Janik zum "Recht auf Sterben" (Falter.at, 2020)
Interview mit Rudolf Likar über das Tabuthema Tod (Kleine Zeitung, 2021)
Ärztlich assistierter Suizid (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, 2014)
Wortlaut des §78, Österreichisches Strafgesetzbuch, zur "Mitwirkung am Selbstmord"
Mehrheit für Liberalisierung der Sterbehilfe (news@orf.at, 4/2021)
Stellungnahme der Gesellschaft für Anästhesiologie zum assistierten Suizid (ÖGARI, 12/2020)
Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik
Telefonseelsorge
Tel: 142
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Kriseninterventionszentrum
Tel: +43/1/406 95 95
Homepage
Bücher:
Rudolf Likar, Herbert Janik, Georg Pinter, "Es lebe der Tod: Tabuthema Sterben", Ueberreuter 2021
Roland Schulz, "So sterben wir: Unser Ende und was wir darüber wissen sollten", Piper 2020
Roger Kusch, Bernd Hecker, "Handbuch der Sterbehilfe", Books on Demand 2021